Daniel Mollard  (Foto: Oettinger)

Daniel Mollard: Die französische Stimme des Saarländischen Rundfunks

  18.03.2015 | 13:12 Uhr

„Der letzte deutsche Sender vor der Grenze“, heißt es manchmal im Scherz über den SR. In Wirklichkeit verstand sich der gesamte SR schon seit jeher als eine „Europawelle“ zwischen Deutschland, Luxemburg und Frankreich. Auch schon damals Ende der fünfziger/Anfang der sechziger Jahre, als es die Schlagbäume an den Grenzen tatsächlich noch gab. Und ebenso die in den Köpfen. Einer der entscheidend dabei mithalf, sie einzureißen, ist der Journalist Daniel Mollard. Für die „Fundstücke zur SR-Geschichte“ erinnert sich der Franzose an seine Anfänge beim SR.

Von Daniel Mollard    

Als ich zu Beginn der sechziger Jahre noch mit den tausend Tücken der deutschen Sprache zu kämpfen hatte, kam noch ein ganz und gar unerwartetes Problem hinzu. Bei meiner Reporterarbeit in Lothringen wurde ich mit im wahrsten Sinne des Wortes „Eigenartigem“ überrascht. War es deutsches Französisch? Französisches Deutsch? Deutschfranzösisches? Verstanden haben wir uns trotzdem, meist zumindest. Beispielsweise, als wir eines Tages in der Grenzgemeinde Stiring-Wendel drehten. Dort waren wir mit dem Gewerkschafter Jean K. verabredet. An der Tür seines Hauses begrüßte mich eine ältere Dame in nettem Französisch, drehte sich um und sagte mit lauter Stimme: „Schang, komm runner, do iss der Môssieur von der Télévision“. Wie gesagt – kein Problem …

 (Foto: SR)
Daniel Mollard: als Reporter meist in Frankreich unterwegs (Foto: G. Heisler)

Oft war mir eine Äußerung eines lothringischen Gesprächspartners aber auch völlig rätselhaft. So bei einem Besuch im Saargemünder Rathaus. Mitten im Gespräch rief plötzlich Bürgermeister Robert Pax an die Adresse seiner Vorzimmerfrau: „Satire!!“. Wieso daraufhin die Dame wortlos erschien und die Tür schloss? Bei mir hinterließ das ein riesengroßes Fragezeichen. Also traute ich mich, bei der Verabschiedung die Sekretärin vorsichtig zu fragen, was zuvor so satirisch gewesen wäre. Sie lachte so laut, dass der Bürgermeister wieder zu uns stieß und nach ihrer kurzen Erklärung ebenfalls zu lachen anfing. Der Grund: Nicht „Satire“ hatte er gerufen, sondern „ça tire!“. Der übersetzte Begriff – wie ich erfuhr – für „Es zieht!“. Nur, dass ein Franzose aus dem inneren Land (ein „Français de l’intérieur“, wie Lothringer die Landsleute aus grenzfernen Regionen nennen und ich es einer war) den Hinweis auf einen störenden Luftzug ganz anders formuliert…

Weil ich nun mal in der 500 Kilometer entfernten Stadt Lyon geboren und groß geworden bin, waren mir diese und andere typisch lothringische Redensarten ganz und gar unbekannt. „Ach Du Lyoner“, war übrigens ein Lieblingsgruß etlicher SR-Kollegen … Nicht ganz schmeichelhaft für einen „Lyonais“. Immerhin aber sind die Lyoner die Lieblingswürste der Saarländer.

Für die damals neu gewonnenen Freunde und Gesprächspartner aus dem dialektsprachigen Grenzraum war ich dagegen ein „Rucksackfranzos“ – eine Bezeichnung für die französischen Soldaten, die in vergangenen Jahrhunderten hin und her auf Kriegsfuß durch die Region marschierten. Dazu kam bei der Begrüßung oft der Spruch „Alles klar – Europawelle Saar!“. Das starke Mittelwellenprogramm des SR war in diesem von den französischen Medien noch stark vernachlässigten Raum bekannt und beliebt. Dazu beigetragen haben sicherlich die moderne, jugendliche Musik der Europawelle ebenso wie der sonntägliche Chansonabend „von und mit Pierre Séguy“ und die täglich in der Mittagszeit ausgestrahlten Nachrichten in französischer Sprache mit kurzem Wetterbericht. Der übrigens wurde von lothringischen Hörern besonders geschätzt, weil er eher zutreffend war als die Infos aus Metz oder Nancy.  

Dies alles fand allerdings nicht immer die Akzeptanz bestimmter Kreise der Nachbarregion. Die Besetzung Lothringens im Krieg und die Zwangsgermanisierung mit massenhaften Umsiedlungen waren schließlich längst noch nicht vergessen. Ressentiments waren das aus alter Zeit vermischt mit aktueller Kritik, bis hin zu Feindseligkeit – auf Grund der lothringischen Geschichte aber durchaus nachvollziehbar. So sprach mal ein hoher Beamter der Metzer Präfektur vor einer Journalistenrunde mit Hinweis auf die SR-Präsenz in der Region von einem „Versuch der Neugermanisierung Lothringens“. Für mich ein schockierender Vorwurf, der allerdings sofort ironische Anmerkungen lothringischer Zeitungskollegen nach sich zog. Sie fragten laut, ob ausgerechnet ein französischer Journalist der geeignete Macher bei dieser angeblichen Germanisierung sei … Ihnen bin ich bis heute dankbar. Ich selbst nämlich war so verdutzt, dass ich nicht mal reagieren konnte.

 (Foto: SR)
Pierre Messmer, von 1972 bis 74 dreimal französischer Premierminister; Abgeordneter des gaullistischen RPR in der Nationalversammlung für das Département Moselle. (Foto: R. Oettinger)
Charmanter Besuch aus Frankreich: die Sängerin Mireille Matthieu bei Daniel Mollard im SR-Studio (Foto: SR)

Solche Äußerungen oder ähnlich geartete Andeutungen, die von Verschlossenheit oder gar von Ablehnung zeugten, waren bis in die 1980er Jahre zu hören oder wahrzunehmen – nicht so oft, aber immer wieder. So durfte das aktuelle SR-Fernsehteam den Sitzungssaal des Forbacher Rathauses zunächst nicht betreten, als dort die Regionaldelegierten der gaullistischen Partei RPR unter dem Vorsitz des damaligen Pariser Premierministers, Pierre Messmer, zusammengekommen waren. Deutsche Medien hätten hier nichts zu suchen, hieß es lediglich. Erst ein knappes persönliches Gespräch mit Regierungschef Messmer und dessen anschließende Worte vor den Tagungsteilnehmern über „die europäische Öffnung Frankreichs“ und „die Bedeutung der grenzüberschreitenden Beziehungen“ entspannten die Lage – und öffneten dem SR-Team die Tür. 
Dann kam die Zeit, in der alles leichter und gar selbstverständlich wurde. Manchmal kippte die begrenzte, aber spürbare Antipathie geradezu ins Umgekehrte. Als der Journalist, Autor, Intellektuelle und Politiker Jean-Jacques Servan-Schreiber, damals in Frankreich ein Medienstar, in Lothringen eine politische Karriere startete, war sein Haus in Nancy für ausländische Presseleute ganz weit geöffnet. Und der SR-Mann durfte dort mit als Erster ein Interview aufzeichnen, während französische Kollegen noch immer auf einen Termin warten mussten…

Seit jeher war der Blick nach Frankreich in der Programmstruktur und der Berichterstattung des SR fest verankert. Dem Haus war das ein besonderes Anliegen – wie in dieser Zeit Intendant Dr. Franz Mai und Chefredakteur Karl-Heinz Reintgen immer wieder betonten. Und das war ganz im Sinne des im Januar 1963 von Staatspräsident Charles de Gaulle und Bundeskanzler Konrad Adenauer abgeschlossenen Elysée-Vertrages zur deutsch-französischen Aussöhnung und zur Pflege freundschaftlicher Beziehungen auf allen möglichen Ebenen.

In den SR-Redaktionen wurde dies nicht etwa als Auflage oder gar als Weisung empfunden, sondern als gern umgesetzter Auftrag für den letzten Sender vor der Grenze – die bald immer weniger eine war. Wie sonst hätte sonst ein französischer Mitarbeiter trotz anfänglich starker sprachlicher Defizite so viel freundschaftliche Unterstützung der damaligen Ressortleiter und Redakteure in Hörfunk und Fernsehen erfahren können und sich dabei in seiner alltäglichen Arbeit nicht als „Vorzeigefranzose“ verstehen und empfinden müssen?! 

(Redaktion für den Arbeitskreis SR-Geschichte: Axel Buchholz (ab); Mitarbeit: Eva Röder (Gestaltung/Layout), Roland Schmitt (Fotos/Recherche), Michael Fürsattel, Sven Müller und Hans-Ulrich Wagner)

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