Norbert Sommer (Foto: R. Oettinger)

Norbert Sommer: Kirchenfunk-Chef bei einem „gottlosen“ SR?

Von Dr. Erika Ahlbrecht-Meditz  

Baskenmütze, Aktentasche unterm Arm, trifft der oberste Glaubenshüter Kardinal Ratzinger auf dem Petersplatz Norbert Sommer, den Kirchenfunkmann vom SR. Ein Redakteur von Radio Vatikan stellt ihn vor. Darauf der Kardinal in bekannt näselndem Ton „So? Sie sind also von diesem gottlosen Sender?“ Dieses Urteil verhinderte jedoch nicht, dass Sommer Ratzingers Chef, den polnischen Papst auf elf Reisen in 28 Länder rund um den Globus begleiten durfte. Nicht „embeded“, sondern ohne verbale Handküsse, aus kritischer Distanz berichtend.

So hielt er es übrigens auch die 27 Jahre hindurch, in denen der Katholik Norbert Sommer die Abteilung Kirche und Gesellschaft leitete: loyal, aber kritisch. Das galt manchem Bedenkenträger als unvereinbar: Kritik war für sie Gegnerschaft. Und daher vom Bösen. Das Konzil war erst seit wenigen Jahren zu Ende gegangen – aber schon formierten sich die Gegenkräfte. Und die forderten: den „Linken“ Sommer an die kirchliche Kandare.

Joseph Ratzinger (Foto: dpa)
Schrieb als Theologie-Professor einen Beitrag für den SR: Kardinal Joseph Ratzinger, später Papst Benedikt XVI. (Foto: dpa)

Auf den Saarbrücker Halberg (dort hat der SR sein Funkhaus) kam Norbert Sommer gewissermaßen über die Chinesische Mauer. Das war 1978. Ich – damals noch Leiterin des Kirchenfunks – hatte in der „Herder-Korrespondenz“ überaus kundige Beiträge zur Situation der christlichen Kirchen in der kommunistischen Volksrepublik China entdeckt. Der Autor hieß Norbert Sommer. Er wurde am 5. Mai 1940 in Schneidemühl (Westpreußen/Posen) geboren, dem heutigen Pila (Polen).  Aufgewachsen war er im Ruhrgebiet. Sommer hatte Sinologe studiert. Diese Kompetenz war selten. Sommer (*5. Mai 1940 in Schneidemühl Westpreußen/Posen, heute Pila/Polen, aufgewachsen im Ruhrgebiet; † 15. April 2012 in Saarbrücken) war studierter Sinologe. Ihm waren also besondere Quellen zugänglich. Die sollte er auch für den Kirchenfunk des SR nutzen. Und so wurde er bald mein wichtigster und bester freier Mitarbeiter. Den Chinakenner entdeckte übrigens schon vor dem SR das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und verschaffte ihm die Ehre, Bundeskanzler Helmut Schmidt auf seine erste China-Reise zu begleiten. Schmidt hatte 1975 noch den Staatsgründer und kommunistischen Diktator Mao Zedong (Mao Tse-tung) persönlich kennen gelernt. Sommers damals noch kleiner Sohn Christian: „Papa, wer ist denn der Onkel, den du nach China mitgenommen hast?“

Auch für "publik-forum" (Ausschnitt vom 7.7.1989) schrieb der Sinologe Norbert Sommer

Als ich anfangs 1978 das Ressort wechselte, war klar, wen ich mir als Nachfolger wünschte. Wir waren uns schnell einig. Sommer hatte ohnedies gerade an einen beruflichen Wechsel gedacht. Er kam, wurde gesehen und angenommen. Intendant Prof. Dr. Hubert Rohde mochte ihn gleich.

Und bald zeigte dieser eher verhalten-stille Mann mit seinem glucksenden Lachen, dass er sich nicht nur chinesische, sondern auch professionell andere, ebenso schwer zugängliche Quellen zu erschließen verstand. Etwa im Vatikan – dem Gegenstück zu Pekings Verbotener Stadt.

Das Zweite Vatikanische Konzil (1962 – 1965) war erst wenige Jahre vorbei. Längst schon formierte sich heimlich und offen die Front der Gegner der von Johannes XXIII. dabei angestoßenen Neuerungen: der Abkehr von der ängstlichen Sorge um den eigenen Bestand, des Verzichts auf die alte dogmenfixierte Rechthaberei, der vertrauensvollen Öffnung zur „Welt“, zu den anderen christlichen Kirchen und den anderen Weltreligionen, der Wahrnehmung der Schöpfung als eines zu pflegenden Geschenks und nicht als Objekt schrankenloser Ausbeutung.

Alte Ängste vor der Relativierung festbetonierter Lehrtraditionen, vor Veränderungen des Altgewohnten etwa in der Liturgie und in den patriarchalischen Strukturen, ballten sich da oft zu feindseliger Kritik. Und die richtete sich natürlich auch an diesen „linken“ Meinungsmacher Norbert Sommer, der diese katholische Zeitenwende im Kirchenfunk positiv begleitete. Da sollten die Kirchen-Oberen mal ein Machtwort sprechen! Da war dann immer wieder zu klären, dass der Kirchenfunk keine Agentur der Kirchen war, dass er nicht an der Leine der Kirchen ging, sondern als eigenständige Abteilung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks ihr kritisches Gegenüber war.

Norbert Sommer Ahlbrecht Meditz (Foto: SR)
Die Autorin dieses Beitrags: Dr. Erika Ahlbrecht-Meditz war SR-Kirchenfunk-Chefin von 1970 bis 1978 (Foto: SR)

Die Folgen dieses verbreiteten Missverständnisses über Zuständigkeit und Verantwortung des Kirchenfunks hatte ich als Sommers Vorgängerin selber oft genug durchzustehen. Und das war zu meiner Zeit um so schwieriger, als der damalige Intendant Franz Mai die Kirche – so wörtlich – als eine Art Schutzhütte für die Schwachen verstand, die es in alter Tradition zu erhalten galt. Das sah ich nun anders – und Norbert Sommer ebenso. Hatte doch der Konzilspapst Johannes eben mit seiner Aufforderung zur Erneuerung der Kirche einen gewaltigen Steinschlag auf die Mai‘sche Schutzhütte herunter donnern lassen. Das gefiel aber außer Mai auch vielen katholischen Bedenkenträgern nicht. Und so hagelte es auch oft Protest gegen ein Kirchenfunkprogramm, das sich ganz und gar dem Konzil verpflichtet wusste.

Aber Sommer blieb unangreifbar, seine Arbeit war viel zu solide, was er kritisierte, konnte er belegen. Ein spektakuläres Beispiel ist mir in Erinnerung: Als Sommer aufdeckte, dass die von den deutschen Bischöfen zugunsten der Hungernden in der Sahelzone veranstaltete Kollekte nicht dort landete, sondern ihr Ergebnis einfach umgewidmet und gewinnbringend angelegt worden war, da wurde er massiv angegriffen – aber widerlegen konnte man ihn nicht.

Norbert Sommer mit Mikro (Foto: SR)
Norbert Sommer als Berichterstatter (Foto: SR)

Mehrsprachig und reiselustig, war Norbert Sommer der gegebene Begleiter des ebenso reiselustigen Papstes aus Polen Johannes Paul II.. Mit ihm war er für die ARD auf elf Reisen in 28 Ländern auf vier Erdteilen unterwegs. Und seine ARD-Kollegen wussten: Er würde sich nicht dem Hofstaat einfügen – „embeded“ nennt man das heute – sondern als distanzierter Reisebegleiter ohne verbale Ringküsse berichten. Dass das vatikanische Zeremoniell ihn dann doch noch zu einem Kniefall genötigt haben soll, als er sein Buch „Der fliegende Fels“ dem Papst überreichte, hat die Kollegenschaft später sehr amüsiert, wurde aber von Sommer selber immer bestritten. Er habe aufrecht vor dem Pontifex gestanden, sagte er. Dieses Foto sei einfach aus einer falschen Perspektive der Kamera zustande gekommen.

Norbert Sommer beim polnischen Papst (Foto: SR)
Ein Kniefall oder keiner? Norbert Sommer beim „polnischen Papst“ Johannes Paul II. (Foto: SR)

Dass beim Saarländischen Rundfunk einer ohne allzu viel Respekt vor den roten Bauchbinden die Baustelle der nachkonziliaren Kirche auf ihre Fortschritte, ihre Tragfähigkeit, ihr Personal in seiner Euphorie aber auch in seinem Widerstand kritisch begleitete, hatte sich offenbar bis Rom herumgesprochen. Schmunzelnd hat Norbert Sommer mir die oben wiedergegebene Begegnung erzählt, bei der der Chef der Glaubenskongregation Josef Ratzinger (der spätere deutsche Papst Benedikt XVI.) ihn als den „Mann von diesem gottlosen Sender“ angesprochen habe.

Wie gut, dass die oberste Glaubensbehörde nicht mehr über die Züchtigungsmittel ihrer Vorgängerin, der (un)heiligen Inquisition verfügte! Die Stapel von Sommers „gottlosen“ Manuskripten hätten ein ganz schönes Feuerchen ergeben … Mit dem Urteil des bayerischen Kardinals hätten sich sicher noch andere Leute einig erklärt, die z. B. Sommers Medienporträt von Papst Johannes Paul II. ein hasserfülltes „Schmierenstück“ nannten, weil es auch kritischen Stimmen Raum gab. Sommers Film über den polnischen Papst wurde übrigens in sechs Dritten Programmen ausgestrahlt, bei Phoenix und im Schweizer Fernsehen und überwiegend positiv aufgenommen. 

„Der fliegende Fels“ hieß Sommers Buch über die Reisen von Papst Johannes Paul II.

„Der fliegende Fels“ war das erfolgreichste der zehn Bücher, in denen Sommer als Herausgeber wichtige SR-Sendereihen mit prominenten Autoren veröffentlichte – und mit denen der Sender sich bei ihrer Präsentation in der Öffentlichkeit gerne schmückte. „Nennt uns nicht Brüder“, ein Buch über die Stellung der Frau in der Kirche, ist mir in besonderer Erinnerung – da dürfte wohl Johanna, Sommers Frau und journalistisch arbeitende Theologin als Anstoßgeberin mit beteiligt gewesen sein.

„Die zornigen alten Männer in der Kirche“ – so hieß eines seiner Bücher, in dem eine kirchentreue Elite ihren Unmut über die gegenläufige Entwicklung in der nachkonziliaren Kirche äußerte. In ihre Reihe hätte Norbert Sommer, gealtert, aber immer noch streitbar, gut gepasst. Diesen besonderen Zorn beschreibt einer der Autoren, der Münsteraner Theologe Johann Baptist Metz, so: Es ist ein „Zorn ... als leidenschaftlicher Ausdruck der Treue und Liebe zur Kirche. Das Gegenteil also sowohl von Resignation wie von pausbäckigem Optimismus, die es sich beide im Verhältnis zur gegenwärtigen Situation der Kirche leichter machen, als dieser zuweilen schwermütige, immer auch geradezu zärtliche Zorn, der die kämpferische Kritik der zornigen alten Männer in den Kirchen begleitet.“

Buchvorstellung: Norbert Sommer (li.), Intendant Professor Dr. Hubert Rohde und Programmdirektor Dr. Heinz Garber

Was nun das Schmunzeln angeht: Norbert Sommer hatte auch einen begnadeten Sinn für das Komische. Und ja: auch für das meist unfreiwillig Komische im Kirchenbetrieb. Unvergessen sein Artikel mit dem Titel „Das Blasen des Heiligen Geistes – Was Medien und kirchliche Würdenträger so von sich geben“. Er hatte die Gabe, das Komische hinter weihrauchdampfenden Wortschwaden aufzudecken, auch den giftigen Geifer neuer selbsternannter Klein- und Großinquisitoren auszumachen und mit Vergnügen aufzuspießen.

Dass er ein großer Kabarettfan war, dass er keinen „SR-Gesellschaftsabend“ mit Hanns Dieter Hüsch ausgelassen hat, passt ins Bild. Und auch, dass er den Kabarettisten Hüsch – den „kaputten Christen, der auf die Bergpredigt schwört“, so Hüsch über Hüsch – immer wieder mal in seinem Programm auftreten ließ.

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Als Norbert Sommer 2005 mit 65 Jahren in den Ruhestand treten musste, wussten alle, die ihn kannten und mochten: Das wird ihm sehr schwer fallen. Sicher hätte er noch gerne weitergemacht. Aber da gab es glücklicherweise ja noch viele Foren, die an seiner Mitarbeit interessiert waren: Zeitschriften wie die „Orientierung“, Imprimatur und Publik Forum.

"Stimmen der Zeit" (8/1974)

Sommer gehörte zu den ersten, die den sich anbahnenden Großskandal in der Diözese Limburg an die Öffentlichkeit brachten. Und da waren ja auch noch die alten Kollegen in der ARD, die seine besessene Lust an der kritischen Arbeit für ihre Programme nutzten. Er wollte, er konnte einfach nicht aufhören. Wen wundert‘s, dass er selbst in seinen letzten Lebensstunden seinem Sohn Martin noch einen Beitrag für Publik Forum in den Computer diktierte. Der dann posthum erschienen ist. Norbert Sommer starb am 15. April 2012 in Saarbrücken.

(Redaktion für den Arbeitskreis SR-Geschichte: Axel Buchholz (ab); Mitarbeit: Kathrin Dauenhauer, Eva Röder (Gestaltung/Layout), Roland Schmitt (Fotos/Recherche), Michael Fürsattel, Sven Müller und Hans-Ulrich Wagner)

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