Christl Ohnesorg (Foto: Christl Ohnesorg)

Wie Kultur ins Pferdestall-Studio kam

Erinnerungen von Christl Ohnesorg

  23.01.2013 | 10:30 Uhr

Ab Anfang 1959 begannen mit Hochdruck die Vorbereitungen für ein eigenes Fernseh-Programm des SR. Und das sollte gleich auf dem Saarbrücker Halberg produziert werden, dem neuen Sitz des Senders. Der erste Neubau dort war allerdings für das Radio vorgesehen, das noch aus dem alten Funkhaus in der „Wartburg“ sendete. Für das Fernsehen musste daher schnell eine Übergangslösung her.

Von Axel Buchholz

Dafür bot sich das ehemalige Wirtschaftsgebäude von Schloss Halberg an. Ab Mitte 1959 wurde es umgebaut. Und wo früher einmal auch Pferde ihr Zuhause hatten, zogen nun also zuerst Bauarbeiter und nach und nach auch Fernsehleute ein. Offiziell wurde das Gebäude wegen seiner drei Flügel als „U-Komplex“ bezeichnet.  Bei den Mitarbeitern hieß es aber schnell der „Pferdestall“.

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„Jedem Anfang wohnt ein Zauber inne“, zitiert  Christl Ohnesorg  im Rückblick auf diese Zeit Hermann Hesse. Als sie am 15. Mai 1960 im Pferdestall ihren Dienst zur Ausbildung als Cutter-Assistentin antrat, gehörte sie zu den „SR-Fernsehpionieren“. Zusätzlich sollte sie auf Honorarbasis als Maskenbildnerin arbeiten, denn wenig später begannen im Juli die ersten Probeaufnahmen und Versuchssendungen mit den elektronischen Kameras im neuen Pferdestall-Studio. Und dafür mussten die Akteure vor der Kamera entsprechend geschminkt werden. „Das konnte ich gut“, erzählt Christl Ohnesorg (1937 in Saarbrücken als Christl Becker geboren). Kein Wunder, denn nach ihrer Ausbildung zur Diplom-Kosmetikerin hatte sie zuerst als Maskenbildnerin bei „Telesaar“ gearbeitet – bis 1958 dieser erste Fernsehsender im Saarland  aus rechtlichen Gründen eingestellt wurde.

Beim SR konzentrierte sich Christl Ohnesorg aber bald auf das, wofür sie angestellt wurde: auf den Filmschnitt. Das wollte sie schon seit Längerem. Der zuerst fertiggestellte Schneideraum rechts in der Mittelachse des „U-Komplexes“ war fortan ihr Arbeitsplatz. Später kamen dort noch zwei Schneideräume dazu. Der Schneideraum  war nicht breiter als der Schneidetisch selbst. Dafür hatte er aber ein Fenster mit Blick aufs Schloss Halberg und den ehemaligen Wasserturm. Er wurde 1966 zusammen mit dem gesamten ehemaligen Wirtschaftsgebäude abgerissen.

Der rechte Flügel des „Pferdestalls“. Rechts vor dem Studio der erste Fernseh- Übertragungswagen des SR. Im Hintergrund rechts das Radiogebäude noch im Bau. (Foto: Ohnesorg/SR) (Foto: Ohnesorg/SR)
Der rechte Flügel des „Pferdestalls“. Rechts vor dem Studio der erste Fernseh- Übertragungswagen des SR. Im Hintergrund rechts das Radiogebäude noch im Bau.

Miteinander und mit dem SR-Fernsehen verheiratet: Christl und Fred Ohnesorg (Foto: Ohnesorg privat /SR 1976) (Foto: Ohnesorg/SR 1976)
Miteinander und mit dem SR-Fernsehen verheiratet: Christl und Fred Ohnesorg

Am Berufswunsch Cutterin war Christl Ohnesorgs  damaliger Freund Erwin Alfred „Fred“ Ohnesorg (1933-2011) gewiss nicht unschuldig. Sie hatte den Kameramann schon bei Telesaar kennen gelernt und durch ihn die Vorbereitungen für das SR-Fernsehen bereits ab Mitte 1959 mit verfolgt. Von da an sollte Fred Ohnesorg als Chefkameramann und Regisseur helfen, das SR-Fernsehen aufzubauen. Seine Aufgabe war zuerst vor allem, die technische Ausstattung für die Filmproduktion mit zu planen und beim Engagement der ersten Kameraleute und Kamera-Assistenten mitzuwirken. So konnte er den Grundstein für so manche Karriere hinter der Kamera legen. Zusammen mit Ludwig Schüssler, dem Leiter der Abteilung Fernseh-Betriebstechnik der Technischen Direktion (Leitung bis 1969 Erich Böhnke), besuchte er mehrere ARD-Sender und auch das Fernsehstudio des amerikanischen Soldatensenders AFN in Kaiserslautern, um sich beraten zu lassen und Erfahrungen zu sammeln.

Rest-Bauarbeiten während die Kameraleute schon probten: Christl Ohnesorg hilft bei der Studio-Dekoration, an der Kamera Fred Ohnesorg  (Foto: Ohnesorg/SR)
Rest-Bauarbeiten während die Kameraleute schon probten: Christl Ohnesorg hilft bei der Studio-Dekoration, an der Kamera Fred Ohnesorg

Christl Ohnesorg hat noch die Bilder vor Augen, wie dann von den großen LKWs der Speditionsfirmen Kisten mit Kameras, Scheinwerfern und Lampen angeliefert wurden, alles sicher mit riesigen Mengen  Holzwolle geschützt. Beim Auspacken halfen viele mit – sogar Intendant Dr. Mai ließ sich das nicht nehmen. Und ihm wie allen anderen, meint Christl Ohnesorg, war dabei die Freude anzumerken, dass es nun bald losgehen würde mit dem Fernsehen vom SR. Auch eine komplette Film-Entwicklungsanlage gehörte zum Speditionsgut, musste ausgepackt und installiert werden. An sie denkt die Cutterin allerdings mit gemischten Gefühlen zurück: „Sie hat sich leider allzu oft als 'Film-Vernichtungsanlage' herausgestellt, weil sie technisch noch nicht ausgereift war.“  Kostengünstig sei sie allerdings gewesen – wie alles, was damals gekauft wurde. Und das war nicht wenig, denn außer dem Fernseh-Studio gehörten zum „Pferdestall“ auch die Bild- und die Tonregie, die Filmentwicklung, die Schneideräume, das Synchronstudio, das Abspielzentrum, die Maske und diverse Nebenräume mit entsprechender Ausstattung.

Auch Intendant Dr. Franz Mai hilft beim Auspacken, rechts Regisseur Jörg Franz (Foto: Ohnesorg/SR)
Auch Intendant Dr. Franz Mai hilft beim Auspacken, rechts Regisseur Jörg Franz

Chirstl Ohnesorg hat aufgeschrieben, wie sie sich an diese Aufbauzeit des SR-Fernsehens erinnert: „Gerade zu Anfang empfand ich alles als ungeheuer spannend und interessant, es war einfach Pionier-Feeling. Aufregend war auch, dass sich Intendant Mai in fast alles einmischte – und so manches Mal auch alle kräftig 'durchmischte'.“

So habe er hin und wieder in den Schneideräumen vorbeigeschaut, auch gelegentlich in die eigene Hausbar eingeladen und zu ihrer Hochzeit mit Fred Ohnesorg einen prächtigen Blumenstrauß geschickt. „Familiäre Fernseh-Zeiten waren das im Pferdestall“, schwärmt Christl Ohnesorg auch noch gut fünfzig Jahre später.

Freilich erinnert sie sich auch an die andere Seite des „Übervaters“ Mai, der von Zeit zu Zeit überraschend mit der Uhr in der Hand persönlich überprüfte, ob jeder pünktlich an seinem Arbeitsplatz war.  Auch habe er schon mal selbst gezählt, wie viel Tassen aus der Kantine im Pferdestall herumstanden – wo die doch nicht mitgenommen werden durften.

Das Schneiden am 4-Teller-Steenbeck-Tisch lernte Christl Ohnesorg allerdings weitgehend im „Selbststudium“ durch Zusehen und Ausprobieren. Anfangs klebte sie nur Werbespots hintereinander oder kürzte mal einen Unterhaltungsfilm. Mehr Programm gab es noch nicht. Das lernte sie von Ilse Laudenklos, die dies bis dahin allein gemacht hatte. Sie war die allererste Cutterin und Tontechnikerin beim neuen SR-Fernsehen.

Nach einiger Zeit begann Christel Ohnesorg damit, die nach und nach beim SR produzierten regionalen Beiträge zu schneiden. Die Reporter kamen vom Hörfunk und hatten in dieser Anfangszeit auch keine Ahnung vom Fernsehen. Sie erinnert sich an Filme über das Erdbeerfest in St. Barbara, das Mirabellenfest in Metz und über die Wallfahrt in Berus. Der Hörfunk-Redakteur für Heimatfunk und Volksmusik, Josef Reichert, war für solche Themen meist der Autor. Chefredakteur Wilhelm Diederich bearbeitete die Landespolitik, Sportchef Jupp Hoppen machte Sport-Beiträge, die Zeitfunk-Reporter Gottfried Damm und Sven Trittelvitz kümmerten sich um allgemeine Zeitgeschehen-Themen, Albert Schmitt und Jörg Franz meist um Kulturelles.

Anfangs gab es noch keine Fernseh-Direktion. Dr. Edmund Ringling wurde ab 1961 „Fernseh-Beauftragter“ (bis 1668). Zuerst war er für das gesamte Fernseh-Programm zuständig, später nur für den Kulturbereich.

Der Fernseh-Beauftragte des SR Dr. Edmund Ringling (Foto: SR) (Foto: SR)
Dr. Edmund Ringling, der Fernseh-Beauftragte des SR

Heute noch hat Christl Ohnesorg ihre Ängste vor der ersten langen Produktion im Gedächtnis. Der damals schon bekannte Dr. Peter Scholl-Latour kam dazu Ende November 1960 als Autor für drei Wochen in den Schneideraum. Er hatte mit Fred Ohnesorg (Kamera) und Helmut Scheuer (Ton) im gerade selbstständig gewordenen Kongo gedreht.  Aus dem Film-Material sollte eine 45-Minuten-Dokumentation werden. Vorsorglich warnte sie Peter Scholl-Latour: „Ich bin noch eine blutige Anfängerin“. Der aber blieb gelassen: „Macht nichts, ich verstehe vom Fernsehen auch noch nicht viel, probieren wir’s einfach gemeinsam“.

Der Film ist im SR-Archiv als Null-Kopie (erste, technisch noch nicht perfekte Kopie) erhalten. Er hieß: „Kongo. Fehlgeburt einer Republik“  und war, trotz aller Befürchtungen, sogar recht gut gelungen. Gesendet wurde er trotzdem nie. Das lag am Text, der teilweise das Missfallen des Patrons Mai erregte. Und am journalistischen Selbstbewusstsein von Scholl-Latour, der die gewünschten Änderungen beharrlich ablehnte. Mai störte sich an dem Satz, dass „die Nähmaschine den Kongo besser erobert habe als das Kreuz des Christentums“. Auch die Kritik am Verhalten der ehemaligen belgischen Kolonialherren und deren angeblicher „flämischen Wohlanständigkeit“ wollte er nicht durchgehen lassen. In Bildern einer stillenden, barbusigen Frau witterte Mai zudem eine große Gefahr für die Jugend. An die heftigen Diskussionen im Schneideraum darüber erinnert sich Christl Ohnesorg ganz genau: „Da bin ich mir absolut sicher“.  Dr. Peter Scholl-Latour ist davon allerdings nichts mehr im Gedächtnis geblieben. Nach 53 randvollen Fernsehjahren dazu befragt, sagt er: „Wissen Sie, ich habe seither so viele Filme gemacht und das war bestimmt nicht mein bedeutendster.“

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In den Anfangstagen des SR-Fernsehens konnte außer Filmen und Werbung nichts gesendet werden. Das änderte sich erst mit der Anschaffung elektronischer Kameras. Damit begann auch die Arbeit der ersten Bildmischerin auf dem Halberg, die sich zurückerinnert.

Christl Ohnesorg war damals enttäuscht, dass der erste von ihr geschnittene lange Film nie gezeigt wurde. Aber auch unabhängig davon verstand sie die Position ihres obersten Chefs nicht. Andrerseits ist sie heute noch voller Bewunderung, wenn sie von Mais Visionen und dessen Engagement für die Kulturberichterstattung des SR-Fernsehens erzählt: „Das sollte ein Schwerpunkt des SR innerhalb der ARD werden.“ Nach ihrer Wahrnehmung hat ihn dazu der saarländische Schriftsteller und Journalist Dr. Gustav Regler (geb. 1898 in Merzig) inspiriert. Der bekam 1960 als erster den neu geschaffenen Kunstpreis des Saarlandes auf dem Gebiet der Literatur. Nach langen Jahren des Exils in Frankreich, Spanien und Mexiko hatte der entschiedene Gegner der Rückkehr des Saarlands zu einem von Hitler beherrschten Deutschland, der ehedem überzeugte Kommunist und Spanienkämpfer, wieder eine Beziehung zu seiner alten saarländischen Heimat gefunden. Dort war aber die hohe Auszeichnung für ihn sehr umstritten. So wurde zwar vormittags im Landtag der Preis offiziell in einer Feierstunde verliehen, der festliche Empfang für den Preisträger jedoch fand abends beim Saarländischen Rundfunk im Schloss Halberg statt. Alle, die am Film über die Preisverleihung mitgearbeitet hatten, waren ebenfalls dabei. Regler hatte sie persönlich eingeladen, auch Christl Ohnesorg. „Ich habe damals deutlich empfunden, wie dankbar er für diese Anerkennung in seiner Heimat war“, erinnert sie sich.

Der Hausherr, Intendant Dr. Franz Mai, und Regler hatten offenbar ein gutes Verhältnis zueinander gefunden. Christl Ohnesorg jedenfalls ist überzeugt: „Gustav Regler war wohl der Schlüssel zu der Idee von Intendant Mai, dass der SR (und speziell auch das Fernsehen) für Kulturschaffende aller Art eine Heimat werden sollte.“ Und sie glaubt auch, dass der weit gereiste und weltoffene Regler gern die Verbindung sein wollte.

Den ersten Kontakt habe er zu dem amerikanischen Bildhauer russischer Herkunft, Alexander Archipenko (1887-1964) hergestellt. „Archipenko war ein etwas wortkarger alter Herr. Er wurde von seiner sehr jungen Frau Frances begleitet, auch sie eine Bildhauerin. Beide wohnten als Gäste im Schloss Halberg, in dem damals auch Zimmer für besondere Gäste bereit gehalten wurden.“ Archipenko hat  als Interview- und Gesprächspartner nicht nur beim SR Spuren hinterlassen, sondern auch mit mehreren seiner Werke in der Modernen Galerie in Saarbrücken, der er zudem seine Gipsmodelle vererbt hat.

Gustav Regler im Atelier des Bildhauers HAP Grieshaber (li.) (Foto: Ohnesorg/SR)
Gustav Regler im Atelier des Bildhauers HAP Grieshaber (li.)

Ein anderes Projekt von Regler war ein Film über den Maler und Grafiker HAP Grieshaber (Helmut Andreas Paul). Er führte ein „archaisches Leben“ auf der Achalm bei Reutlingen. Für ein Fernseh-Porträt besuchte ihn  1962 dort Gustav Regler zusammen mit SR-Literaturredakteur Heinz Dieckmann als Realisator und Fred Ohnesorg (Kamera). 

Bei den Dreharbeiten zum Grieshaber-Porträt (von li.): SR-Literaturredakteur Heinz Dieckmann, Gustav Regler u. Fred Ohnesorg (Kamera)  (Foto: Ohnesorg/SR)
Bei den Dreharbeiten zum Grieshaber-Porträt (von li.): SR-Literaturredakteur Heinz Dieckmann, Gustav Regler und Fred Ohnesorg (Kamera)

Ein weiteres Künstler-Porträt war der Film über den Maler, Grafiker und Bildhauer Max Ernst (1891-1976), der in Paris und an der Loire gedreht wurde. Und noch andere hochrangige Produktionen dieser Art waren angedacht, so mit der Kunstsammlerin und Mäzenin Peggy Guggenheim in Venedig, mit Pablo Picasso (den Gustav Regler ebenfalls persönlich kannte) und dem französischen Dramatiker Eugène Ionesco, dessen Stück  „Die Stühle“ dann 1964 vom SR als Fernsehspiel produziert wurde. 

Der französische Dramatiker Eugène Ionesco (li.)  mit Gustav Regler im "Pferdestall-Studio" (Foto: Ohnesorg/SR)
Der französische Dramatiker Eugène Ionesco (li.) mit Gustav Regler im "Pferdestall-Studio"

Als Gustav Regler während einer Weltreise 1963 plötzlich in Indien starb, empfand Christl Ohnesorg dies als schmerzlichen Einschnitt für vieles so ideenreich Begonnene. Nur an manchen Projekten war sie selbst beteiligt gewesen, aber durch Chefkameramann Fred Ohnesorg, ihren Mann, kannte sie die Planungen und Produktionen. Die meisten daran beteiligten Künstler lernte sie so auch persönlich kennen. „Es war eine aufregende Zeit, in der alle Ideen grenzenlos schienen und sich ein alles beflügelnder Zeitgeist auftat.“     

Redaktion für den Arbeitskreis SR-Geschichte: Axel Buchholz (ab); Mitarbeit: Thomas Braun, Frauke Feldmann, Sven Müller, Christl Ohnesorg, Dr. Ralph Schock, Hans-Ulrich Wagner, Klaus Peter Weber und Roland Schmitt

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