Skeptisch sein und Hoffnung machen
Erinnerungen an Hanns Dieter Hüsch anlässlich seines 100. Geburtstags
Hanns Dieter Hüsch war ein Ausnahme-Künstler, der in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts das literarische Kabarett entscheidend geprägt hat und der daher zu Recht als dessen bedeutendster Vertreter gilt. Hüsch starb am 6. Dezember 2005. Am 6. Mai 2025 wäre er 100 Jahre alt geworden. Seit Mitte der fünfziger Jahre – damals noch bei Radio Saarbrücken – bis zu seinem Abschied von der Bühne im Jahre 2001 war Hüsch kontinuierlich für den Saarländischen Rundfunk tätig. Seine Sendungen, darunter vor allem die Hörfunk-Reihe „Hanns Dieter Hüschs Gesellschaftsabend“ mit ihrem Fernsehableger „Hüsch & Co“, waren über Jahrzehnte hinweg Highlights in den Unterhaltungs-programmen des SR. Hüschs Zusammenarbeit mit dem SR, vor allem im „Gesellschaftsabend“, hat Karl-Heinz Schmieding, ehemaliger HF-Unterhaltungschef und Kabarettredakteur, bereits in drei verschiedenen Folgen der Reihe „Fundstücke“ detailliert beschrieben.
In dieser Folge lässt er, dokumentiert durch weitere denkwürdige Hörfunk- und Fernseh-Aufnahmen des SR, wichtige Programme aus Hüschs künstlerischem Lebenswerk Revue passieren. Zugleich beschreibt er zurückblickend die Philosophie des Kabarettisten am Beispiel ausgewählter Texte.
Von Karl-Heinz Schmieding
„Hanns Dieter Hüsch ist einmalig. Er ist einmalig, weil er der Poet unter den Kabarettisten ist...“(Johannes Rau. ehemaliger Bundespräsident, in seiner Laudatio aus Anlass des Bühnenabschieds von Hanns Dieter Hüsch im Jahr 2000)
„Wenn ich gefragt werde, wann ich denn geboren worden sei, sage ich immer, am 6. Mai 1925 - zusammen mit dem damaligen deutschen Kronprinzen, und wenn der Kaiser geworden wäre, hätte ich schulfrei gehabt.“[1] Dies ist eine ironische Anspielung Hüschs auf seinen kaisertreuen Vater und dessen fixe Idee vom schulfreien Geburtstag seines Sohnes. Die entsprechende Anekdote ist auch Bestandteil einer Hagenbuch-Geschichte, die Hanns Dieter Hüsch 1985 anlässlich seines 60. Geburtstags im „Gesellschaftabend“ des SR uraufgeführt hat: „Hagenbuch und der Geburtstag“. Wie unwirklich diese Geschichte auf den ersten Blick auch erscheinen mag – hier erzählt Hanns Dieter Hüsch in der Rolle seines „Alter Ego“, ausgehend vom Thema „Geburtstag“, auch aus seinem eigenen Leben, von seiner schweren Geburt, von seiner Mutter, seinem Vater und seiner verstorbenen ersten Frau Marianne, geborene Lüttgenau alias „Kleinewiese“.
Die Geschichte von seiner Geburt, die Hüsch hier 1985 im typischen Hagenbuch-Stil erzählt, hatte er bereits zehn Jahre früher in einem Text mit dem Titel „Psychogramm“ gewissermaßen als sein eigener Psychotherapeut stichwortartig beschrieben – vor dem Hintergrund jenes Schicksalsschlags, der sein ganzes Leben bestimmen sollte: Hanns Dieter Hüsch wurde mit einer gravierenden Missbildung seiner Füße geboren und musste sich daher bis zum Alter von 14 Jahren immer wieder neuen Operationen unterziehen.
„Mai 1925
Das Licht der Welt
Nein nein
Das kann es nicht gewesen sein
Es war Schreien Strampeln Atmen und wieder Schreien
Komplizierte Lage
Kaiserschnitt
Beide Füße 180 Grad nach innen
Spitzfuß
Achillessehne mußte sofort verlängert werden
Narkose
Nun läßt sich alles erklären
Ständiger Umgang mit Betäubungsmitteln
Defensive Eskapismus Hinnehmer Außenseiter
Clown Narr ...“ [2]
Im selben Jahr, in dem dieser Text entstand, hat Hüsch, genau am 8. November 1975, die erste Hagenbuch-Geschichte beim „Gesellschaftsabend“ im Großen Sendesaal des SR uraufgeführt. Was die Figur Hagenbuch ihm bedeutet hat und wie wichtig sie ihm für sein Programm war, das hat er in meiner SR-Sendung von 1985 erklärt.
Als Hanns Dieter Hüsch, angeregt durch die Lektüre der Werke Thomas Bernhards, die Figur Hagenbuch erfand, habe er Bernhards „ironische Philosophie“ und deren „ekstatische Heiterkeit“ dann ganz besonders geschätzt, so schreibt er in seiner Biografie, „wenn sich die Tiraden monomanisch wiederholten.“ Monomanische Wiederholungen scheinen in Hüschs Leben aber offenbar schon viel früher eine entscheidende Rolle gespielt zu haben, immer dann, wenn er als Junge bei Familien-Geburtstagen das Durcheinander der vielen sich überschneidenden Gespräche am Tisch fasziniert verfolgen konnte. „Wenn ich kaum noch was Wirkliches heraushören konnte, dann waren die Gespräche für mich auf dem Höhepunkt angelangt, und ich hatte meinen großen Spaß daran. Und wenn ich mich frage, woher wohl meine Vorliebe für bizarre Klänge, für Schichtungen von Wortkaskaden, für monomanische Wiederholungen kommt, das muß damals an diesen langen Familientischen begonnen haben.“[3]
„Wenn man in deutsch-nationalen, preußisch-puritanischen , protestantischen vier Wänden aufwächst, muß man eigentlich Kabarettist werden.“ [4] (Zitat Hanns Dieter Hüsch)
Die „Familientische“ als erste Inspiration für eine Kabarett-Karriere. Die begann 1948 an der Universität Mainz, einer Neugründung in der damaligen französischen Zone, in der Hüsch einen der raren Studienplätze bekommen hatte - Philologie mit dem Ziel Studienrat, wie er den Vater glauben ließ. In Wirklichkeit studierte er Theaterwissenschaften, Literaturgeschichte und Philosophie, weil er eigentlich Opernregisseur werden wollte. Von ernsthaftem Studium konnte jedoch auch hier keine Rede sein. Denn Hüsch hatte seine Leidenschaft für's Kabarett entdeckt. Am Flügel der Uni-Cafeteria probierte er seine ersten Kabarettnummern. Außerdem wirkte er mit in studentischen Brettl-Revuen, hier vor allem auch im Studentenkabarett „Die Tol(l)eranten“. 1949 startete er bereits sein erstes Soloprogramm: „Das literarische Klavier“. Damals war er noch ein „Chansonnier“. Und typische Hüsch-Chansons hießen in ironischer Anspielung auf seine Probleme mit den Füßen „Ich bin ja so unmuskulös. Wie kommt denn dös?“(1948) und „Der Mann, der nicht tanzen kann“ (um 1950) . Die folgende Aufnahme stammt aus der Sendung „Cabaret mit Hanns Dieter Hüsch“, produziert vom ehemaligen SR-Unterhaltungschef A.C. Weiland im früheren Saarbrücker Funkhaus Wartburg. Hüsch damals übrigens noch am Flügel. Später wurde die Philicorda-Orgel sein Begleitinstrument.
A.C. Weiland produzierte auch schon relativ früh größere Fernsehsendungen mit Hanns Dieter Hüsch, wie zum Beispiel die Solo-Sendung „Niemandsland des Lächelns“ im Jahr 1962, eine der ersten Eigenproduktionen des SR für das Abendprogramm der ARD. In einer Drehpause bei den Außenaufnahmen zu einem weiteren Film des Kabarettisten im November 1964 führte die SR-Reporterin Hannelore Rosentreter ein Gespräch mit Hanns Dieter Hüsch über seine Arbeit. Ort der Dreharbeiten: die Anhöhen der saarländischen Gemeinde Erfweiler-Ehlingen an einem offensichtlich ziemlich kalten Herbsttag.
Den Titel des Hüsch-Films, bei dessen Dreharbeiten dieses Gespräch stattfand, habe ich leider nicht in Erfahrung bringen können. Bekannt ist nur, dass das Interview mit Hüsch in der SR-Sendung „Hüben und drüben“ am 13. November 1964 gesendet wurde. In der selben Sendung wurde auch der folgende Szenenausschnitt aus den Dreharbeiten in Erfweiler-Ehlingen gezeigt – mit der zusätzlichen Information, dass es sich bei der Produktion um „einen für das ARD-Gemeinschaftsprogramm produzierten Film“ handele. Hanns Dieter Hüsch trägt in dieser satirischen Szene, wie bereits von ihm vermerkt, in der Tat einen Smoking, seine „neue Tarntracht“.
Zu Hüschs ersten größeren literarischen Erfolgen gehörten die Frieda-Geschichten, hauptsächlich entstanden in den 50er und 60er Jahren und damals auch in Buchform erschienen. Dass die Titelfigur dieser Geschichten in Wirklichkeit seine erste Frau Marianne war, daran hat Hanns Dieter Hüsch keinen Zweifel gelassen: „Für Frieda, die in Wirklichkeit Marianne heißt“ lautet die gedruckte Widmung in dem 1959 erschienenen ersten Büchlein unter dem Titel „Frieda auf Erden“. Die Frieda-Geschichten sind heiter-ironische Ehedialoge und Streitgespräche zwischen einem, wie
Hüsch formulierte, „logischen Kind“(die Frieda) und einem „lyrischen Kind“[5] (Hüsch selbst). Auf der einen Seite die aktive, resolute und lebenskluge Frau und auf der anderen der eher ein wenig verträumte weltfremde Poet – daraus beziehen die Geschichten ihren besonderen Reiz. In einer der schönsten Szenen dieser Reihe beweist die Frieda, dass sie sich in Sachen Kino bestens auskennt – unabhängig davon, ob es sich um einen Western oder um einen hohen Literaturfilm handelt.
Die Frieda, Hüschs erste Frau Marianne, geborene Lüttgenau, starb im Jahre 1985. Er hatte ihr im Laufe der Jahrzehnte viele weitere Frieda-Episoden gewidmet. Seit 1991 war Hanns Dieter Hüsch mit Christiane Rasche verheiratet. Auch sie kommt in seinen Geschichten und Gedichten immer wieder vor und trägt dort gelegentlich unverkennbar Frieda-ähnliche Züge. Nicht ohne Grund stehen die Frieda-Geschichten ganz am Anfang der achtbändigen Hüsch-Gesamtausgabe der Edition diá, in der sie den ersten Band – „Die poetischen Texte“ – einleiten. Das folgende Gedicht wurde bereits im damals neuen SR-Funkhaus auf dem Halberg aufgenommen.
Mitte der fünfziger Jahre hatte die Zusammenarbeit des SR bzw. von Radio Saarbrücken mit Hanns Dieter Hüsch begonnen. Wie Hüsch selbst auf seine Zeit beim SR zurückblickte, das hat er 1990 im Gespräch mit dem SR-Journalisten Heinrich Kalbfuß beschrieben, als der zusammen mit Jürgen Albers Hüschs Autobiografie vorstellte. Die Sendung „Fragen an den Autor“, wurde live aus dem Großen Sendesaal des SR übertragen.
Hüschs Berufung auf die Dichter und die Poesie bedeutet aber keinesfalls, dass er in seinen Programmen nicht politisch gewesen wäre, wie ihm gelegentlich unterstellt wurde. Auch wenn er, sich selbst und seinen Berufsstand ironisierend, den „Kleinkünstler“ als „Missständebeseitiger“ bezeichnet hat, „der die Missstände mit Hilfe des Mikrofons beseitigen soll“[6], so bleibt jedoch festzuhalten, dass Hüsch sich besonders seit den 60er Jahren immer stärker gesellschaftskritisch und politisch zu Wort gemeldet hat. Beleg: in der Hüsch-Gesamtausgabe gehört der rund 650 Seiten umfassende Band „Die politischen Texte“ mit zu den umfangreichsten. „Ein alternatives Geschichtsbuch“ konstatiert die Politikerin Renate Künast (Bündnis 90/Die Grünen) als Autorin des Vorworts. Hüsch geht immer wieder mahnend auf negative Zustände ein, auf politische und gesellschaftliche Fehlentwicklungen, allerdings vorwiegend in dichterischer Form. Im Unterschied zum tagespolitischen Kabarett und dessen satirischer Zielrichtung auf prominente Politiker erklärt er 1984: „Ich kann diese auswechselbaren Geschichtsbuchhalter in meinem Programm nicht gebrauchen. Mit anderen Worten: mein Kabarett ist mir zu schade dafür.“[7] In einem Interview konstatiert er dagegen 1988:„Ich empfinde meine Arbeit schon seit vierzig Jahren als hochpolitisch, und zwar, weil ich Leben beschreibe, ...Menschen beschreibe, die leben müssen, die viel im Leben er-leben müssen. Trauer und Freude, Krankheit und Gesundheit“, Erfolg und Niederlage, Neid und Habgier, Krieg und Frieden.[8]
„Kabarett ist öffentliches Nachdenken mit unterhaltenden Mitteln. Ich bin ein literarischer Kabarettist mit ganz bestimmten politischen Positionen – nie wieder Krieg, nie wieder Faschismus. Und wenn es darum geht, kann ich hochpolitisch sein. Für mich steht aber nicht Moral, sondern die Liebe oben“. [9] (Zitat Hanns Dieter Hüsch)
Zwei wichtige und sehr direkte politische Programme von Hanns Dieter Hüsch waren bekannte SR-Produktionen von Wolfgang Drescher, meinem Vorgänger als Kabarett-Redakteur beim SR: die „Carmina Urana – vier Gesänge gegen die Bombe“ (1958/1965) und das „Quartett 67“, ein Gemeinschaftsprogramm von Hanns Dieter Hüsch, Franz Josef Degenhardt, Wolfgang Neuss und Dieter Süverkrüp. In diesem Programm interpretieren die vier Solisten mit verteilten Rollen auch einen Text von Hanns Dieter Hüsch: „Ich bin ein deutscher Lästerer“. Da wir die Aufnahme hier aber leider nicht verwenden können, habe ich eine Solo-Aufnahme des Titels mit Hanns Dieter Hüsch ausgewählt.
Dass Hüschs Programme in der zweiten Hälfte der sechziger Jahre angesichts des Erstarkens der rechtsextremen NPD (Nationaldemokratische Partei Deutschlands) wesentlich politischer geworden waren, das genügte den fundamentalistischen Linken beim Chanson-Folklore-Festival auf Burg Waldeck offensichtlich nicht. Als Hüsch, nach erfolgreichen Auftritten in den Jahren 1966 und 1967, als einziger Kabarettist bei diesem Liedermacher-Festival im Hunsrück 1968 erneut auftrat, wurde er von einer Gruppe sogenannter „Kulturrevolutionäre“ als „spätbürgerlicher Formalist“ geschmäht, schließlich zum Abbruch seines Programms gezwungen und auf offener Bühne einer Art Verhör unterzogen: warum in seinem Programm das Wort Revolution nicht vorkomme. Warum er immer so unterhaltend sei. Und warum er kein sozialistisches Programm mache, wenn er doch Sozialist sei. Die Demütigung auf offener Bühne war so groß, dass Hüsch noch viele Jahre später konstatierte, es gebe „einfach nichts Schlimmeres als von Gesinnungsgenossen vernichtet zu werden“.[10]
„Ich mein, ich bin ein absolut links-engagierter Mann, aber es kann ja auch ein Friseur Sozialist sein und muß nicht gleich seinen Kunden die Haare sozialistisch schneiden.“ [11] (Zitat Hanns Dieter Hüsch)
Sein Programm „Enthauptungen“ von 1970 war „eine Abrechnung mit den Pseudo-Linken der Waldeck“[12] und richtete sich darüber hinaus gegen politische Ideologien und Heilslehren jeglicher Couleur. In dem entscheidenden Song dieses Programms heißt es: „Ja, die Gesunden habens gut, denn sie essen schon zum Frühstück eine Lehre.“
Diese Liedzeile von den „Gesunden“ griff der Kabarettist Matthias Deutschmann im Fernseh-Gesellschaftsabend zum 75. Geburtstag von Hanns Dieter Hüsch auf. Er gratulierte Hüsch und ergänzte das Zitat: „Und ich möchte auch Danke sagen! Ich bin mir nicht sicher, ob ich ohne Hanns Dieter Hüsch heute Kabarettist wäre. Es sind Sätze hängen geblieben: ‘Ja, die Gesunden habens gut, denn sie essen schon zum Frühstück eine Lehre. Wenn es sein muß, greifen sie sogar zum Hammer und hängen Che Guevara in die Speisekammer‘. Wunderbar!“
Nach der Uraufführung des Programms „Enthauptungen“ im „Theater Fauteuil“ 1970 in Basel hatte der Kritiker der Basler National-Zeitung geschrieben, den „poetischsten, virtuosesten und menschlichsten aller gegenwärtigen Cabarettisten“[13] erlebt zu haben. Das Programm schließt mit der ständig wiederholten Lautsprecher-Durchsage „Denen, die sich jetzt entzweit seh'n, empfehlen wir 1 Korinther 13“ („Wenn ich mit Menschen- und mit Engelszungen redete und hätte der Liebe nicht, so wäre ich ein tönend Erz oder eine klingende Schelle.“) Seinen unerschütterlichen Glauben an die Kraft der Liebe und damit an eine bessere Welt unterstreicht Hüsch in dem bereits erwähnten Interview mit den Worten: „Was ist fortschrittlicher als 1. Korinther 13! Das ist mein ganz privates Parteibuch.“[14]
„Bin immer noch der kaputte Christ, der auf die Bergpredigt schwört, der alte gläubige Vollidiot.“ [15] (Zitat Hanns Dieter Hüsch)
In einem der bekanntesten und dichterisch beeindruckendsten Lieder aus dem Programm „Enthauptungen“ bekennt Hanns Dieter Hüsch sich zu den Außenseitern dieser Welt, den „seitlich Umgeknickten“.
„Ich sing für die Verrückten“, diese Refrainzeile des Sprechgesangs „Für wen ich singe“, ist in der Hüsch-Gesamtausgabe zugleich auch der Titel des Bandes mit den poetischen Texten. „Für wen ich singe“ wurde übrigens inzwischen auch in die Lyrik-Sammlung „Der ewige Brunnen“ aufgenommen, als „Hausbuch deutscher Dichtung“ ein Klassiker.
Der Schweizer Kabarettist Franz Hohler, der zu den Stammgästen im „SR-Gesellschaftsabend“ zählte, war schon in seiner Jugendzeit geradezu gefesselt von Hanns Dieter Hüsch, wenn er ihn im Radio hörte. Als er Hüsch zum ersten Mal auf der Bühne erlebt habe, sei er von dessen poetischen Worten so sehr beeindruckt gewesen, dass er sie als Zuruf empfunden habe, „ein Gleiches zu tun“ schrieb Hohler anlässlich des TV-Gesellschaftsabends zum 75. Geburtstag von Hanns Dieter Hüsch:
„….. Wie sehr habe ich mich gefreut, als er später in eine meiner ersten Vorstellungen in Zürich kam, und wie sehr habe ich mich gefreut, dass ich in Saarbrücken während Jahren immer wieder Gelegenheit hatte, in seinen „Gesellschaftsabenden“ mit ihm zusammen aufzutreten. Ich glaube, es ist unzähligen Leuten mit Hanns Dieter Hüsch so gegangen wie mir. Sie haben einen Menschen gehört, der seine Beobachtungen macht und seine Gedanken spinnt und sie andern Menschen weitergibt, und die andern sind wir selbst, die wir ähnlich empfinden, die wir auch schon gedacht haben, was der Künstler denkt, wir erkennen uns wieder, und vor allem: wir sind nicht allein. Wir haben einen freundlich spintisierenden Begleiter, Erheiterer und Gedankenerweiterer ...“[16]
Ein faszinierender Poet, ein eindringlicher Mahner und Satiriker, das war der eine Hüsch, der in der Tat erklärte, den Menschen in unterhaltender Form beibringen zu wollen, dass sie nicht allein seien – der andere ein wunderbarer Komiker und Clown, ein skeptisch-ironischer Menschenbeobachter, der obendrein als atemberaubender Wortakrobat und Sprachspieler beeindruckte.
„Dieser Clown, den alle gern haben“ (Saarbrücker Zeitung 12.04.1999)
„Zugucken, zuhören, aufschreiben, vortragen“ – mit diesen Worten hat Hüsch seine Arbeitsmethode beschrieben. Man brauche das Leben gar nicht mehr zu parodieren. Es sei „längst schon eine vollkommen selbständige Parodie“[17], hat er gesagt Und in seiner „Rede vom Leben“ bestätigt er: „Alles was wir machen, machen wir uns vor. Und alles, was wir uns vormachen, ist wichtig. Wir könnten sonst nicht leben.“
Es gibt einen von Hüsch zitierten Satz aus einer Kritik der „Stuttgarter Zeitung“, den er so zutreffend fand, dass er bedauerte, ihn nicht selbst erfunden zu haben: „Hüsch liebt die Menschen, die er verspottet.“[18] So hat er auch seiner niederrheinischen Heimat mit vielen Geschichten und wunderbar kuriosen Figuren ein Denkmal gesetzt.
„Alles, was ich bin, ist niederrheinisch“ lautete Hüschs Bekenntnis. Und auf die Frage, wie man denn Kabarettist werde, hat er geantwortet: „Man muß nur am Niederrhein aufgewachsen w e r d e n.“[19]
„Der Niederrheiner und der Saarländer das sind ganz große Verwandte“, betonte Hanns Dieter Hüsch In seiner Abschiedsrede nach dem allerletzten „Gesellschaftabend“ des SR und bekannte gleichzeitig, dass das Saarland und die Stadt Saarbrücken ein wenig wie seine zweite Heimat geworden seien. Vielleicht hat er sich ja auch in der Rolle des „Mannes mit den vier Harmonien“ an diese Verbundenheit erinnert, als er Saarbrücken, natürlich auch des Reimes wegen:-), in einem Atemzug mit Tokio und London „bedichtete“.
Wie Sie wissen spiel ich immer nur vier Harmonien
Ob in Bremen oder Stuttgart oder Wien
Ob in Tokio in London in Saarbrücken
Ich spiel die vier in allen meinen Stücken [20]
In diesem Gedicht setzt sich Hüsch mit der Kritik an seiner Musik auseinander. Wenn er hier selbstironisch von seiner „Allerweltsharmonisierung“ spricht, über die „die ganze E- und U-Musikwelt stöhnt“, kann man leicht übersehen, dass sich der „Erik Satie der Kleinkunst“[21], wie Konstantin Wecker seinen Kollegen Hüsch einmal scherzhaft genannt hat, intensiv mit der Neuen Musik, mit dem Jazz und Steve Reichs Minimal Music befasst hat.
Es gibt einen hoch aktuellen politischen Text von Hanns Dieter Hüsch, der zu seinen allerwichtigsten zählt und den er seit Mitte der achtziger Jahre häufig an den Schluss seines Programms gesetzt hat, und den er auch in seiner Abschiedssendung im Programm hatte: eine eindringliche Warnung vor der Entstehung des alltäglichen Faschismus.
In seinen kleinkunstphilosophischen Gedanken zum Thema „gedachtes und gedichtetes Kabarett“[22] hat Hanns Dieter Hüsch jenen Satz formuliert, der seine Kabarettphilosophie noch einmal auf den Punkt bringt: „Einzige Aktualität: der Mensch“. Dass dieser Satz aber nicht nur Hüschs programm-philosophische Devise war, sondern zugleich auch seine ganz private Leitline von großer Empathie gegenüber seinen Mitmenschen, das wird uns allen unvergessen bleiben, die wir jahrzehntelang mit ihm beim SR zusammengearbeitet haben. Auch darum haben wir ihn besonders geschätzt, unseren „Hagenbuch auf dem Halberg“.
Ich selbst erinnere mich in diesem Zusammenhang immer wieder gern an ein ungewöhnliches „Überraschungsprogramm“ von Hanns Dieter Hüsch, das schon fast 57 Jahre zurückliegt. In meiner ersten Kabarettveranstaltung mit ihm als Moderator im Jahr 1968 war ich gleich doppelt aufgeregt – als verantwortlicher Redakteur und als frischgebackener Vater. In der Nacht vor der Veranstaltung war mein erster Sohn auf die Welt gekommen. Mitten in seinem damals relativ politischen Programm schaltete Hüsch zu meiner Überraschung plötzlich um ins Private. Mit dem Hinweis, er sei schon immer ein Freund des Privaten gewesen, eröffnete er dem Publikum, dass ich, der Leiter der Sendung, Vater eines Sohnes geworden sei und dass er nun dem neuen Erdenbürger „ein halbwegs bürgerliches Wiegenlied“ singen werde.[23] Stürmischer Beifall im Sendesaal und ein von Rührung überwältigter Vater in der Tonregie. Die denkwürdige Aufnahme des „Wiegenlieds“ gehört seitdem zum festen Bestandteil wohlgehüteter Familienerinnerungen im Hause Schmieding.
Im Juni 2001 fand, parallel zum letzten HF-“Gesellschaftsabend“ mit Hüsch, die letzte TV-Sendung „Hüsch & Co“ statt. Damit ging nicht nur eine 28 Jahre währende Hüsch-Ära im „Gesellschaftsabend“ zu Ende, sondern zugleich auch eine in ihrer Kontinuität einzigartige rund 45jährige Zusammenarbeit des SR mit dem Kabarettisten. Zusammen mit seinen zahlreichen prominenten „Gesellschaftsabend“-Gästen und vielen Newcomern aus den Bereichen Kabarett, Kleinkunst und Musik hat Hanns Dieter Hüsch SR-Geschichte geschrieben.
Bei allen Programmerfolgen, die der SR mit „Hanns Dieter Hüschs Gesellschaftsabend“ und „Hüsch & Co“ erreicht hat, wollen wir jedoch nicht vergessen, dass diese Erfolge ohne den engagierten Einsatz kabarettbegeisterter Kolleginnen und Kollegen aus Produktion und Technik in Hörfunk und Fernsehen über eine so lange Zeit nicht möglich gewesen wären.
Konstantin Wecker, der, von seinen Musikern begleitet, die letzte Sendung zusammen mit Hanns Dieter Hüsch gestaltete, war als „Gesellschaftsabend“-Stammgast ein begeisterter „Hüschianer“. In seiner 2005 erschienenen Hüsch-Laudatio im Hagenbuch-Stil „Wecker hat jetzt zugegeben...“ schrieb er u.a., dass man ihm öffentlich vorgehalten habe, „er hüsche zu sehr./ Worauf er geantwortet haben soll: Man könne nie zu sehr hüschen, es würde im Gegenteil viel zu wenig gehüscht und es müsse viel mehr gehüscht werden auf deutschen Bühnen,/Bühnen,/ die eine schreckliche Leere befallen habe,/ seit er, Hüsch nämlich/ nicht mehr unterwegs sei...“[24]
Hüsch und Wecker gemeinsam – mit dem Sprechgesang „Abendlied“, einem der schönsten Liedtexte von Hanns Dieter Hüsch, endete die letzte Sendung „Hüsch & Co“, wie auch „Hanns Dieter Hüschs Gesellschaftsabend“ im Hörfunk.
Quellen:
[1] Hüsch-Biografie „Du kommst auch drin vor“, Kindler Verlag 1990 und Edition diá Band 7: Die autobiografischen Texte
[2] Anfangszeilen aus „Psychogramm“, Edition diá, Band 7
[3] Hüsch.Biografie „Du kommst auch drin vor“, Kindler Verlag 1990 u. Edition diá, Band 7
[4] „Gesellschaftsabend“ Nr. 1, 1973
[5] Frieda-Geschichte „Frieda und der dunkle Anzug“, Edition diá, Band 1: Die poetischen Texte
[6] Programm „Und sie bewegt mich doch“ 1984
[7] Programm „Und sie bewegt mich doch“ 1984
[8] „Kabarett als Seelentrost“, Gespräch mit H.D. Hüsch, Evangelische Kommentare 9/88
[9] H.D. Hüsch „Kleinkunstphilosophisches (V)“, Edition diá, Band 7
[10] Bernd Schroeder: „Hanns Dieter Hüsch hat jetzt zugegeben...“, Arche Verlag 1985
[11] H.D. Hüsch: „Kleinkunstphilosophisches (III)“, Edition diá, Band 7
[12] Hüsch-Biografie „Du kommst auch drin vor“, Kindler Verlag 1990
[13] H.D. Hüsch: „Enthauptungen“, Damokles Verlag 1971
[14] „Kabarett als Seelentrost“, Evangelische Kommentare 9/88
[15] Programm „Und sie bewegt mich doch“ 1984
[16] Franz Hohler: „Persönlich gemeint“, 2000
[17] „Gesellschaftsabend“ Nr. 2, 1973
[18] „Kabarett als Seelentrost“, Evangelische Kommentare 9/88
[19] Programm „Am Niederrhein“ 1984
[20] Die erste Strophe aus „Vier Harmonien“, Edition diá Band 2: Die kabarettistischen Texte
[21] SR-TV-u.HF-Gala „Hüsch zum 75.“, 2000
[22] H.D.Hüsch, Kleinkunstphilosophisches (II), Edition diá Band 7
[23] Der Text des kabarettistischen „Wiegenlieds“ ist ebenfalls 1968 in Hanns Dieter Hüschs „Archeblues und andere Sprechgesänge“ erschienen, Sanssouci Verlag Zürich. Auch in Edition diá Band 1
[24] CD-Booklet „Hanns Dieter Hüschs Gesellschaftsabend“ Die 2te. Conträr Musik 2005
Redaktion für den Arbeitskreis SR-Geschichte: Axel Buchholz; Illustration und Co-Recherche: Burkhard Döring, Magdalena Hell; Layout und Gestaltung: Magdalena Hell; Standbilder: Sven Müller (SR-Fernseh-Archiv)