Symbolbild: Stasi und der SR – Historische Aufnahme des Funkturms auf dem Halberg und ein vermeintlicher Spion mit Kamera in einem Spiegel (Foto: Heisler, Gerhard / BArch MfS HA VI Fo 1052 Bild 17)

Wie die DDR-Staatssicherheit den SR ausforschte (Teil 2/4)

Die Premiere von Spionin „Hanna“ als Autorin und der Vorschlag von „Hans“ zum Sprengen von Zügen

 

Von Axel Buchholz*

Mit einem paramilitärischen Auftrag waren seit Anfang der 1960er Jahre zwei Agenten des Staatssicherheitsdienstes (Stasi) der ehemaligen DDR im Saarland und im benachbarten Rheinland-Pfalz aktiv. Das Spionageehepaar mit den Decknamen** „Hans“ und „Hanna“ sollte zuerst vor allem Partisanen-Aktionen vorbereiten und im Ernstfall unterstützen oder selbst durchführen. Die beiden hatten 1959 zur Vorbereitung ihres Einsatzes einen einjährigen Speziallehrgang der Stasi und der Nationalen Volksarmee (NVA) in der DDR absolviert. Der Saarländische Rundfunk war anfangs nur eines der vielen „feindlichen Objekte“, die die beiden IM (Inoffiziellen Mitarbeiter) im Visier hatten.

Erst ab 1968 rückte der SR ins Zentrum ihrer Aktivitäten. Sehr intensiv sammelten sie fortan Material zu den Sender-Gebäuden und Sendeanlagen des SR sowie zum Programm und zu Mitarbeitern des Senders. Wie es dazu kam, lässt sich nur vermuten. Aber Anhaltspunkte gibt es.

Das inzwischen für sie allein zuständige „Ministerium für Staatssicherheit“ wollte möglicherweise mehr Gewicht auf aktuelle Maßnahmen bei der Bekämpfung der von der DDR als „feindlich“ angesehenen Westmedien legen. Es befürchtete durch sie eine Beeinflussung ihrer Gesellschaft insgesamt oder spezieller Gruppen. Deshalb war es strikt verboten, Erzeugnisse der gedruckten West-Presse in die DDR zu schicken oder dorthin mitzunehmen. Zu kaufen gab es sie ohnehin nicht. Und gegen das Einschmuggeln gab es strenge Kontrollen.

Der „Grenzübertritt“ von Radio- und Fernsehwellen war dagegen nicht zu verbieten. Also versuchte die DDR, die „politisch-ideologische Rundfunkdiversion“ (PID) – wie es in ihrem offiziellen Sprachgebrauch hieß – durch Inoffizielle Mitarbeiter ausforschen zu lassen und zu bekämpfen. Die ursprüngliche militärische Aufgabenstellung ihrer Spione für den Krisen- und Kriegsfall rückte dadurch eventuell etwas in den Hintergrund.

Der Sendebeginn der neuen „Europawelle Saar“ des Saarländischen Rundfunks zum Jahresbeginn 1964 könnte  zunehmendes Stasi-Interesse speziell am SR bewirkt haben. Das  populäre Programm mit viel Musik und großer technischer Reichweite war möglicherweise im Kriegsfall als „Notsender“ für die Zivilverteidigung vorgesehen. Das berichtete damals jedenfalls die Frankfurter Rundschau, die sich auf einen Beschluss der Konferenz der Länderinnenminister bezog. Die Stasi hat es mit Sicherheit gelesen.

Bestimmt auch für die Stasi interessant: die Europawelle Saar als Notsender.

Hinzu kam, dass die Europawelle Saar als nun „überregionaler“ Sender auch einen gesamtdeutschen Informationsanspruch hatte. SR-Intendant Dr. Franz Mai stellte das in seiner Neujahrsansprache 1964 deutlich heraus: „Wir hoffen, daß unser Mittelwellenprogramm, das wir ab morgen mit einer Sendestärke von 300 Kilowatt  auf den Weg schicken, eine echte Quelle der Information …auch für unsere Brüder jenseits der Mauer sein wird; denn genaue und objektive Information ist das erste, was die Menschen von drüben von uns erwarten.“ Sie seien „in der Zone“ durch Politiker von uns getrennt „die das Unmenschliche als Staatsmacht organisiert haben“. [„Zone“ war der ursprünglich Westsprachgebrauch für die „sowjetisch besetzte Zone“, dann lange auch noch für die DDR.]

Titelseite der SR-Broschüre von 1976. (Foto: SR)
Titelseite der SR-Broschüre von 1976 mit ausgewählten Reden und Schriften des ersten SR-Intendanten Dr. Franz Mai.

Zu erreichen seien diese Menschen in der DDR von uns „fast nur noch über das Medium des Rundfunks“. Und „zu diesem Zwecke“ werde sich der SR des Rundfunks bedienen, „wann und wo immer es möglich ist“…Der Saarländische Rundfunk wird hierzu je mehr verpflichtet sein, desto größer seine Reichweite sein wird und seine Sendungen die Grenzen der Bundesrepublik überschreiten“.[1] Und das tat die neue Europawelle Saar mit einer Sendestärke von schließlich 1200 Kilowatt immer mehr.

Das Programm der Europawelle zielte allerdings allein auf die Hörer im Saarland und das übrige Bundesgebiet. Spezielle Sendungen für die Hörer in der DDR hatte die „Ansage“ des Intendanten nicht zur Folge. Sie war auch meines Wissens nie überhaupt ein Thema in Redaktionskonferenzen.

Hörerpost aus der DDR (wie dieser Brief von Frank aus Eisenhüttenstadt an „Hallo Twen“ von 1964) zeigte schon im Gründungsjahr den Erfolg der Europawelle auch dort. [2]

Das neue Programm „Europawelle Saar“ wurde rasch bekannt und beliebt. Die Hörerzahlen stiegen schnell. Das galt wegen der technischen Empfangsbedingungen besonders für das Kernempfangsgebiet im Saarland und in benachbarten Bundesländern. Aber auch ansonsten in der Bundesrepublik und weit darüber hinaus nahm die Zahl der Hörer dieses Programms des Saarländischen Rundfunks erheblich zu. Das galt auch für die DDR.  Genaue Zahlen speziell dafür gibt es mangels dort möglicher Hörerforschung nicht. Aber die steigende Zahl von Zuschriften auch aus der DDR war dafür ein eindeutiger Beleg. Die SR-Fans hinter der innerdeutschen Grenze dürften das neue Programm allerdings überwiegend nicht wegen der „genauen und objektiven Information“ (Intendant Dr. Mai) so gern gehört haben.

Der erste Intendant des Saarländischen Rundfunks Dr. Franz Mai. (Foto: Heilser, Gerhard)
Der erste Intendant des Saarländischen Rundfunks Dr. Franz Mai.

Die Jungen hat wohl vor allem die Popmusik zum Westradio aus dem fernen Saarbrücken gelockt. Sehr beliebt war Manfred Sexauer, der in „Hallo Twen“ (werktags 17.05 Uhr) den Musikgeschmack der jungen Generation besonders gut traf – auch in der DDR. Und die Wirkung dieser Musik (und des dadurch zum Ausdruck kommenden Lebensstils) fürchte die DDR. Deshalb durfte nur ausgewählte „Westmusik“ selten mal im DDR-Radio gesendet werden. In Konzerten und in Tanzlokalen war sie streng kontingentiert. Wer dort als DJ Platten auflegen wollte, brauchte dafür eine besondere staatliche Spielerlaubnis für „Schallplattenunterhalter“. Hatte man sie nach einer Prüfung bekommen (und dann natürlich seinen „Schein“ auch behalten wollte), wusste man, was man spielen durfte. Und was nicht – wie z. B. den „Sonderzug nach Pankow“ von Udo Lindenberg.

Was passiert, wenn man ihn dennoch spielt, erfuhren z. B. die beiden nebenberuflichen "Schalplattenunterhalter" F. F. (26) und M. S. (27) aus Guben schnell. Nachdem sie das Lied am 15.1.1983 in einer Diskoveranstaltung in der HO-Gaststätte (HO = Handelsorganisation) „Universum“ vor 90 Jugendlichen gespielt hatten, wurden sie vom Kreisgericht Wilhelm-Pieck-Stadt Guben wegen öffentlicher Herabwürdigung (§ 220, Staatsverleumdung, StGB der DDR)  "bei ungenügender Sachaufklärung im Strafbefehlsverfahren zu je 5 Monaten Haftstrafe" verurteilt. Sie hatten das Lied vom RIAS-Programm "Schlager der Woche" auf Kassette aufgenommen. Die HA IX (HA = Hauptabteilung), das Untersuchungsorgan der Stasi, schlug dann vor, das Urteil zu kassieren und den beiden, da sie unbescholten waren und sich nach eigenen Aussagen nichts bei der Abspielung des Liedes gedacht hatten, die Zulassung als frei- und nebenberufliche Künstler zu entziehen und ihnen eine Ordnungsstrafe von 750,- Mark aufzuerlegen.[3]

Der Unteroffizier K. K. (19) hatte nach den Ermittlungen des zuständigen Abwehroffiziers durch einen IM, „vor mehreren Angehörigen seiner Einheit ein Tonband mit Liedern des BRD-Sängers Lindenberg [abgespielt], mit denen die gesellschaftlichen Verhältnisse in der DDR verleumdet wurden“. Der Gruppenführer bei den Grenztruppen bekam Arrest und wurde versetzt. Nach Ablauf des Grundwehrdienstes war  seine Degradierung und Entlassung vorgesehen.[4]

Hörerpost in der „Hallo Twen“-Redaktion (Foto: Schmidt, Julius C. )
Über zu wenig „Hörerpost“ hatte Kult-Moderator Manfred Sexauer (Mitte) nie zu klagen.

Auch alle anderen Musiksendungen der Europawelle mit Hitparaden und Preisfragen zur Musik waren beliebt. Das Ostradio hatte da Vergleichbares nicht zu bieten, weder von den Musiktiteln her noch von der Art der Präsentation. Dazu kam, dass auch die Konkurrenz von anderen Westsendern in Sachen Pop-Musik für die Europawelle noch gering war. So ist sicherlich der große Anfangserfolg des Programms (auch) „hinter der Mauer“ zu erklären.

Die Wirkung westlicher Sender besonders auf junge DDR-Bürger schätzte die Stasi hoch ein. In ihrem internen Informationsmaterial „nur für berechtigte Angehörige des MfS!“ (Ministerium für Staatssicherheit) kann man es nachlesen: „Eine [DDR-]Analyse einer größeren Anzahl von Ermittlungsverfahren zu den Straftatbeständen Ungesetzlicher Grenzübertritt [DDR-Bezeichnung für Republikflucht] …und Beeinträchtigung staatlicher und gesellschaftlicher Tätigkeit …aus den Jahren 1986 und 1987 [lasse] die Erkenntnis zu, dass die Westberliner Funkmedien bei den Tätern wesentlich zur Motivation der Tat beigetragen haben.“[5]

Warum das Programm des von den Amerikanern gegründeten Rias-Berlin bei DDR-Jugendlichen so besonders gut ankam, versuchte das DDR-Ministerium für Staatssicherheit ebenfalls herauszufinden. Ergebnis: „rund um die Uhr ein sehr attraktives Musikprogramm“.[6] Vor allem die Popmusik also lockte junge Leute in der DDR auf westliche Wellen.

Titelseite des internen Stasi-Infomaterials für Öffentlichkeitsarbeit, vom März 1989. Rund acht Monate später, am 9. November, fiel die Berliner Mauer.

Eine solche „Rundfunkdiversion“ (politisch-ideologische Einflussnahme auf die politischen Einstellungen der DDR-Bürger) befürchtete die Stasi generell durch den Westrundfunk. Ab Mitte der sechziger Jahre möglicherweise aber zunehmend auch durch die Europawelle Saar, die vor allem wegen ihrer Vorreiterrolle bei der Popmusik auch immer mehr Ost-Fans begeisterte.

Mehr dazu wie die Europawelle bei einem jungen DDR-Hörer wirkte in:
Lutz Rathenow: Ohne den Saarländischen Rundfunk wäre ich wahrscheinlich kein Dissident geworden

In den Stasi-Akten zu den beiden SR-IM (soweit sie dem Verfasser vorliegen) lässt sich kein Grund dafür finden, warum die Stasi damals begonnen haben könnte, den SR verstärkt durch ihre beiden Spione ausforschen zu lassen. So bleibt das „Warum“ im Bereich der Spekulation. Dass es tatsächlich so war, ist dagegen eine Tatsache. Die Stasi-Berichte über die Treffs mit ihren Spionen (IM) im Saarland zeigen das eindeutig.

Der SR wird erstmals im Treffbericht vom März 68 besonders hervorgehoben. Und das gleich für beide IM. „Hans“ gibt da zu Protokoll, dass er im Zusammenhang mit seiner „Versicherungstätigkeit“ auch zu Mitarbeitern des Saarländischen Rundfunks Verbindungen unterhalte, „die er auch in ihrer Dienststelle aufsuche“. Ohne deren Wissen habe er dabei Formulare „mitnehmen“ können. Er zählt dann u.a. auf: Produktionsformulare, Umlaufzettel, Bestätigungsblock, SR-Geschäftskarte sowie SR-Kopfbögen, die auch zur „Beantwortung von Hörerpost“ dienen. Die dazu passenden Umschläge seien nicht „greifbar“ gewesen.[7]

„Hans“ als spionierender Versicherungsvertreter. Ein Auszug aus dem Stasi-Treffbericht vom 31.3.1968.

Im selben “Bericht über persönliche Verhältnisse“ meldet „Hans“ auch, dass seine Frau „Hanna“ eine Tätigkeit für den Saarländischen Rundfunk aufgenommen habe: „Durch Vermittlung einer Sprechschülerin von „Hanna“ wurde sie von einem Herrn …, der die rechte Hand eines Hörfunkleiters ist, angesprochen.“ Der habe „Hanna“ angeboten, Manuskripte für die Sendung „Mister Unbekannt lässt raten“ anzufertigen.[8]

Die „Sprechschülerin“, die als freie Sprecherin und Moderatorin schon beim SR arbeitete, war also die erste Kontaktperson von “Hanna“ beim SR, die „rechte Hand“ die zweite. Über seine Frau „Hanna“ lernte „Hans“ die beiden SRler ebenfalls kennen. Durch diese Kontakte sollten die beiden sehr bald über Jahre hinweg zu den allermeisten ihrer Informationen über den SR kommen.

So dokumentierte die Stasi wie „Hans“ und „Hanna“ zum SR kamen.

Auf die neuen Spionage-Möglichkeiten ihrer beiden IM beim SR reagierte die Stasi schnell: Im März 1968 hatte sie davon erfahren, bereits im September desselben Jahres passte sie den Auftrag ihrer Spione der neuen Situation an (Treffbericht vom 20.09.1968[9]).

Nun sollten sie eine „umfassende Aufklärung des Saarländischen Rundfunks“ liefern. Dafür  wurden folgende Einzelheiten festgelegt: „Lage [und Beschreibung] der Baulichkeiten, in denen die Verwaltung, Studios, technische Einrichtung usw. untergebracht sind – auch Sendeanlagen usw.“

Stasi wünscht „umfassende Aufklärung des Saarländischen Rundfunks“ (Auszug aus den Stasi-Akten)

In Auftrag gegeben wurden auch „personelle Angaben, Hinweise und Einschätzungen über leitende Angestellte und verantwortliche Mitarbeiter des SR, sowie auch anderes Personal“ und die „umfassende Aufklärung“ über eine „bestimmte Person“ vom SR. Auch über zahlreiche andere Bundesbürger stellte vor allem „Hans“ Nachforschungen an. Diese sog. „Personenaufklärungen“ konnten für die Betroffenen äußerst unangenehme Folgen haben und sich sogar lebensgefährlich auswirken. 

In einem Stasi-Handbuch der „Arbeitsgruppe Minister/Sonderaktionen (AGM/S) von Anfang der siebziger Jahre sind sie aufgelistet. „Untergrabung des Vertrauens, des Ansehens, der Unbescholtenheit“ von Personen und durch „Beschuldigung erreichte offizielle Abdankung“ erscheinen unter den aufgeführten Methoden noch als die „harmloseren“. In der Rangfolge der Grausamkeiten folgt dann das Ausschalten von Personen durch Geiselnahme oder Entführung. An der Spitze steht das „Liquidieren“ (d. h. die „physische Vernichtung von Einzelpersonen und Personengruppen“). Dafür werden im Handbuch acht verschiedene Möglichkeiten aufgezählt – darunter „Erstechen, Verbrennen, Zersprengen…Vergiften, Ersticken“.[10]

Titelseite der ARD-Veröffentlichung über die Stasi-Aktivitäten in den bundesdeutschen Rundfunkanstalten.

Auf die von ihren Spionen gewünschte „Objektbeschreibung“ hatte die Stasi nicht lange warten müssen. Nach gerade einmal  einem halben Jahr hat „Hans“ umfangreiche Unterlagen zu den SR-Gebäuden und technischen Anlagen geliefert. Das war sein erster Bericht nach dem speziellen Auftrag zum SR.[11] Darin geht es z. B. um Zimmerbelegungspläne mit Zimmernummern, Namen und Funktion der in diesen Zimmern tätigen SR-Mitarbeiter, Funktion der Technik- und Produktionsräume mit Angaben zu Geräten und sonstiger technischer Ausstattung, Lagepläne der SR-Gebäude und detaillierte Angaben zur SR-Bewachung (Wachpersonal, Zäune, Tore, sonstige Sicherungen). Sogar die Nummer des Hauptschlüssels fehlt nicht – ebenso wie ein Hinweis darauf, dass man in ein bestimmtes SR-Gebäude außer durch den Eingang auch durch einen vier Meter tiefen Schacht (80 mal 80 cm, Steigeisen) gelangen könne. Über dem Schacht liege lediglich ein nicht verschließbarer Eisendeckel.

Was fehlte, wurde später „nachgearbeitet“ wie etwa, dass aus einem für „Hans“ erst nicht identifizierbaren Rohbau schließlich eine Doppelgarage geworden war. Meist wurden Fotos oder Skizzen mit dazugehöriger Beschreibung geliefert. Im „Treffbericht“ von Dezember 68 machen solche Angaben ca. 60 Din A4-Seiten aus.

Mehr zu den Arbeitsmethoden der IM beim SR unter:

Angst, dass er als unentwegter Fotograf auf dem Saarbrücker Halberg auffallen könnte, brauchte „Hans“ wohl nicht zu haben. Da hatte die Stasi vorgesorgt. Sie baute versteckte Fotoapparate für ihre Spione u. a. in Handtaschen, Knöpfe und Kleidungsstücke ein. Dass „Hans“ für einen anderen Zweck über eine spezielle Aktentasche verfügte ist belegt: Zum „Transport von u. a. Dokumenten u.a. operativen Materialien wurde dem IM eine schwarze Aktentasche mit eingebarbeiteten Container übergeben“, heißt es in einem Treffbericht.[12]

Eine Stasi-Tasche mit darin verstecktem Fotoapparat. (Foto: BArch MfS HA II Fo 6 Bild 8 und 11)
Handwerkszeug für Spione: Eine Stasi-Tasche mit darin verstecktem Fotoapparat.

So erfolgreich „Hans“ beim Ausspionieren des SR war, so wenig Erfolg hatte er als IM mit einer Idee zur Vorbereitung von Partisanenaktionen gehabt. Sein Vorschlag war, Züge in Eisenbahntunneln zu sprengen. Dafür wollte er an den Zügen Lichtsensoren mit damit verbundenen Sprengladungen verstecken. Durch die Einfahrt des Zuges in einen Tunnel und dem damit verbundenen Lichtwechsel von hell zu dunkel, sollte ein elektrischer Impuls entstehen, der dann die Zündung des Sprengstoffs ausgelöst hätte. Die „Arbeitsgruppe Minister/Sonderaktionen (AGM/S) im Ministerium für Staatssicherheit“ war dagegen. Begründung: Die Methode würde nachts nicht funktionieren.[13]

Zur Objektbeschreibung des SR gehörten zahlreiche Fotos. Hier die Erklärung zu Foto Nr. 44 (Auszug aus der Stasi-Akte)[14].

Insgesamt war die Stasi aber mit der Arbeit von „Hans“ zufrieden. Er bekam neben dem umfangreichen Auskundschaften des SR auch weitere Aufträge. So sollte er z. B. Material über die rechtsextreme NPD im Saarland (Nationaldemokratische Partei Deutschlands) inklusive Lageplan und Fotos sammeln und immer mal wieder meist technisches Material beschaffen. Dazu gehörten u. a.: ein amerikanisches Narkosegewehr, Gasrevolver, Zeitschaltuhren, eine Repetierbüchse mit Zielfernrohr und Munition, Funkgeräte aus Natobeständen und eine Narkosepistole.[15]

Auch zur Struktur der Energieversorgung des Saarlandes und der Stromeinspeisung durch die Saarbergwerke in das Netz der RWE übergab „Hans“ Informationsmaterial. Und dies tat er ebenfalls mit Pressematerial der Saarländischen Landespressekonferenz, das ihm und „Hanna“ von der ersten Kontaktpersonen „mit dem Bemerken“ angeboten worden sei, es anschließend verbrennen zu können.[16]

Auch Fotokopien von sechs Blanko-Presseausweisen des Saarländischen Journalistenverbandes lieferte „Hans“ an die Stasi. Sie wurden ihm in einem „geschlossenen Umschlag übergeben, um sie gefälligerweise beim Saarländischen Journalistenverband abzugeben. Die Tüte öffnete ich, weil sich der Inhalt nach Ausweisen anfühlte.“[17]

Selbst von einem privaten Familienurlaub in der Schweiz lieferte „Hans“ Informationen. Auch dortige militärische Anlagen interessierten die Stasi ebenso wie die Modalitäten bei den Grenzübergängen.

Für alle Erfolge der beiden IM bei der Ausforschung des SR hatte „Hanna“ mit Hilfe ihrer ersten Kontaktperson, der Sprechschülerin vom SR,  die Voraussetzungen geschaffen. Dadurch konnte sie auch am 24. März 1968 ihre Premiere als SR-Autorin für die Sendung „Mr. Unbekannt lässt raten“ feiern.

„Hannas“ Premiere als Jugendfunk-Autorin (Montage).

Darüber berichtete ihr Mann „Hans“ seinem Führungsoffizier laut „Treffbericht“ besonders ausführlich.[18] Er schilderte erst kurz die Geschichte dieses Sendungsformates[19] ebenso wie ihren (unpolitischen) Inhalt und stellte dann fest: „Von allen beteiligten Stellen wurde die Sendung als Erfolg bestätigt.“ Ob „Hanna“ diese Tätigkeit fortführen könne, sei „noch nicht geklärt“, „da hierbei die Konkurrenzfrage und Protektion eine besondere Rolle“ spiele. Das war entweder eine Fehleinschätzung oder (vielleicht eher) eine Wichtigtuerei gegenüber seinem Stasi-Führungsoffizier. „Hannas“ Vorgängerin als Autorin hatte den Auftrag zurückgegeben, Konkurrenzbewerbungen darum sind mir jedenfalls nicht in Erinnerung.

Stolz auf den Erfolg seiner Frau als Autorin: aus dem Stasi-Bericht von „Hans“ an seinen Führungsoffizier.

Mir wurde „Hanna“ im Zusammenhang mit ihrem ersten Manuskript von der zweiten Kontaktperson vorgestellt. Diese betreute die Manuskripte der Ratesendung und deren Produktion. Ich war als freier redaktioneller Mitarbeiter (und Moderator) mit der gesamten Sendereihe „Junge Leute – heute“ betraut. Das Manuskript fand ich in Ordnung und hatte keine Bedenken gegen „Hannas“ weitere Beschäftigung. So entschied auch der verantwortliche Abteilungsleiter Schul-, Jugend- und Kinderfunk Dr. Heinz Garber.

Welcher SR-Mitarbeiter, der einer freien Mitarbeiterin einmal im Monat eine Beschäftigung als freie Autorin harmloser Manuskripte ermöglichte, hätte wohl geahnt, dass er damit zwei professionellen Stasi-Spionen die Funkhaustür für eine Ausforschung des SR öffnete? Wir jedenfalls nicht – selbst nicht in Zeiten des „Kalten Krieges“ zwischen Ost und West.

Stasi-Spione stellte man sich irgendwie anders vor – und eher wohl nicht als ein Ehepaar mit drei Kindern, das sich – wie es schien – mit Versicherungsprovisionen und Honoraren für Sprechunterricht durchs Leben schlug. Dass dies ein Fehler war, das erfuhren wir erst rund 40 Jahre später.

Schon neun Monate später war im „Treffbericht“ vom 30.12.1968 festgehalten, dass es bei dem rein beruflichen Kontakt für ein monatliches Manuskript zwischen den beiden IM und ihren Kontaktpersonen beim SR nicht geblieben war. Da hieß es, die beiden seien „neben anderen Personen …für den IM [„Hans“] die wichtigsten Informanten und durch diese konnte er auch die Mehrzahl der Materialien beschaffen…“. Und weiter: „Das Verhältnis zu den Genannten entwickelte sich aus der Tätigkeit von „Hanna“ – Sprecherziehung – und führte zu persönlichen Kontakten, gegenseitige Wohnungsbesuche mit [der ersten Kontaktperson]“. [20] Durch Vermittlung ihrer ersten Kontaktperson bekam „Hanna“ dann zusätzlich die Chance, für den Frauenfunk kurze Modebeiträge zu verfassen.

Aus einer beruflichen wurde schnell eine persönliche Beziehung (Auszug aus dem Stasi-Protokoll).

Besonders folgeträchtig aber sollte werden, dass beide IM von ihren Kontaktpersonen auch Aufträge für redaktionelle Hilfstätigkeiten wie etwa bei der Hörerpoststatistik und der Gestaltung von SR-Programmbroschüren erhielten. Zusammen verdienten sie damit zwischen 1967 und 1972 nach Angaben von „Hans“ durchschnittlich DM 600.- pro Jahr.

So sehr dieses Zusatzeinkommen den von der Stasi schlecht bezahlten IM auch geholfen haben mag, viel wichtiger war für sie zweifellos, dass sie nun beide einen offiziellen und unverdächtigen Grund hatten, sich als freie SR-Mitarbeiter häufiger im Funkhaus aufzuhalten. Sie verfügten damit über eine perfekte Legende (einen glaubhaften und nachprüfbaren Vorwand) für ihre Spionage-Tätigkeit. „Beiläufig“ konnten sie sich im SR umsehen und als „Neue“ auch viele Fragen stellen, hatten Zugang zu für sie als IM interessanten Unterlagen, konnten bei ihren SR-Besuchen Material „mitgehen“ lassen, heimlich einsehen oder kopieren.

Im Programmbereich bauten die beiden IM fortan schnell ihre neuen  Möglichkeiten aus. Besonders „Hans“ verstand es dabei, sich zu einer „Vertrauensperson“ beider Kontaktpersonen zu entwickeln – und damit zu einem (vorübergehend) erfolgreichen Spion beim SR.

Dies ist der zweite von vier geplanten Beiträgen der Reihe „Wie die DDR-Staatssicherheit den SR ausforschte“. In den Teilen 3 und vier folgen weitere Informationen zu den Aktivitäten von „Hans“ und „Hanna“ und der drei weiteren inoffiziellen Stasi-Mitarbeiter beim Saarländischen Rundfunk.

* Der Autor war Chefredakteur Hörfunk des Saarländischen Rundfunks. Er hat während seiner Tätigkeit seit 1960 beim SR alle Personen, die inzwischen als Stasi-Spione beim SR bekannt sind, mindestens kennengelernt. Im von ihnen ausgeforschten Material wird er mehrfach zitiert.

** Es kam dem Verfasser darauf an, Auswirkungen und Methoden des Kalten Krieges darzustellen, die (auch) den SR betroffen haben. Nach mehr als einem halben Jahrhundert wurde auf die Nennung von Klarnamen verzichtet, obwohl sie zum überwiegenden Teil bereits vom SR und in der gedruckten Presse und in der Literatur veröffentlicht wurden.

Für die Recherche nutzte er – soweit es ihm zur Verfügung stand – Originalmaterial des Stasi-Unterlagen-Archivs im Bundesarchiv (bis Juni 2021 BStU). Außerdem wertete er aus: SR-Archivmaterial (soweit zugänglich), Sekundärliteratur und seine Erinnerungen sowie die weiterer Zeitzeugen.

Redaktion für den Arbeitskreis SR-Geschichte: Axel Buchholz; Illustration: Burkhard Döring, Magdalena Hell, Axel Buchholz; Layout und Gestaltung: Eva Röder, Magdalena Hell; Standbilder: Sven Müller (Fernseh-Archiv); Redaktionelle Mitarbeit/Ko-Recherche: Magdalena Hell und Dieter Brennecke.

Für Unterstützung bei Recherche und Illustration dankt der Arbeitskreis SR-Geschichte Dagmar Hovestädt (Abteilungsleiterin Vermittlung und Forschung im Bundesarchiv), Dr. Jochen Staadt (Projektleiter beim Forschungsverbund SED-Staat der Freien Universität Berlin) und John Steer (Vorstandsmitglied der ASTAK e.V. beim Stasimuseum Berlin).

[1] Franz Mai, Einige ausgewählte Reden und Schriften, SR, 1978, S.93

[2]  BArch, MfS, BV Dresden, Abt. XX Nr.11997, S.693

[3]  BArch, BStU, MfS HA IX Nr. 1085

[4]  BArch, BStU, ZA, MfS HA I Nr. 17309, Tagesmeldung Nr 27/3/83

[5] BArch, MfS, SED-Kreisleitung 3898, S. 27.

[6] BArch, MfS, SED-Kreisleitung 3898, S. 26.

[7] BArch, MfS, AIM 8997/79, Band 3, S. 209.

[8] BArch, MfS, AIM 8997/79, Bd. 3, S. 212 f.

Der Sprechunterricht wurde von „Hanna“ bereits ab 1965 probeweise erteilt. Er sollte ursprünglich nur zur besseren finanziellen Absicherung dienen, die „nicht ohne Weiteres kontrollierbar durch die Steuerbehörden“ seien. S. dazu BArch, MfS, AIM 8997/79, Bd. 2, S. 123.

[9] BArch, MfS, AIM 8997/79, Bd. 3, S. 263.

[10]  Jochen Staadt, Saarländischer Rundfunk, in „Die Ideologiepolizei“ (Die rundfunkbezogenen Tätigkeiten des Ministeriums für Staatssicherheit der ehemaligen DDR), 1. Auflage 2008, Stiftung Deutsches Rundfunkarchiv Frankfurt a. M., S. 645 f.

[11]  BArch, MfS, AIM 8997/79, Bd. 4, S. 6 ff.

[12]  BArch, MfS, AIM 8997/79, Bd. 4, S. 32.

[13]  Jochen Staadt, Saarländischer Rundfunk, in „Die Ideologiepolizei“ (Die rundfunkbezogenen Tätigkeiten des Ministeriums für Staatssicherheit der ehemaligen DDR), 1. Auflage 2008, Stiftung Deutsches Rundfunkarchiv Frankfurt a. M., S. 647.

[14]  Zu Bildbeschreibungen s. BArch, MfS, AIM 8997/79, Bd. 4, ab S. 32 ff.

[15] Jochen Staadt, Saarländischer Rundfunk, in „Die Ideologiepolizei“ (Die rundfunkbezogenen Tätigkeiten des Ministeriums für Staatssicherheit der ehemaligen DDR), 1. Auflage 2008, Stiftung Deutsches Rundfunkarchiv Frankfurt a. M., S. 647.

[16]  BArch, MfS, AIM 8997/79, Bd. 5, S. 143.

[17]  BArch, MfS, AIM 8997/79, Bd. 4, ab S. 273.

[18] BArch, MfS, AIM 8997/79, Bd. 3, S. 212 f.

[19] Die erste der monatlichen Sendungen von „Mr. Unbekannt lässt raten“ lief am 3.März 1965, die letzte am 22. April 1973.

[20] BArch, MfS, AIM 8997/79, Bd. 4 S. 7 f.

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