Autogrammkarte Ruth Pfordt (Foto: Dr. Nancy Dierkes)

Ruth Pfordt: die erste SR-Fernsehansagerin

  27.10.2020 | 14:05 Uhr

Von Axel Buchholz und Hans-Joachim Hoffmann*

Aktiv war sie, sportlich auch, eine angenehme Stimme hatte sie ebenfalls. Und ein erfreulicher Anblick war sie ohnehin: An die zudem sympathische Ruth Pfordt erinnern sich ältere Saarländerinnen und Saarländer heute noch gern. Dass sie allerdings aus einer politisch sehr engagierten Familie stammte, das wissen selbst in ihrer saarländischen Geburtsstadt Ottweiler wohl nur noch wenige. Aber mehrere Stolpersteine werden demnächst an den mutigen Kampf der Pfordts gegen den Nationalsozialismus an der Saar erinnern.   

In den Anfangsjahren des Fernsehens waren sie Stars des neuen Mediums. Auch Ruth Pfordt gehörte an der Saar dazu. Heute gibt es Ansagerinnen und Ansager nicht mehr. Auf gesprochene Ankündigungen der kommenden Sendung wird in der Regel ganz verzichtet. Kurze Trailer mit Miniausschnitten weisen vorab werbend daraufhin. Vergessen sind die Fernsehansagerinnen und -ansager dennoch nicht.

Ursula Patzschke. (Foto: Transitfilm)
Ursula Patzschke.

Die erste deutsche Fernsehansagerin war zugleich die weltweit allererste. Sie kennt allerdings kaum noch jemand: Ursula Patzschke(-Beutel). Beim damals von der Reichspost betriebenen Versuchsstudio in der Berliner Rognitzstraße (nahe dem heutigen rbb-Funkhaus an der Masurenallee) begrüßte sie am 23. März 1935 die wenigen staunenden Berliner Fernsehzuschauer in den öffentlichen „Fernsehstuben“. Nur dort war anfangs der „Fernsehsender Paul Nipkow“ zu empfangen.

Immer mal wieder wird in den Medien an die erste deutsche Nachkriegsfernsehansagerin erinnert: Irene Koss. Auch sie eine Schauspielerin. Sie hatte am 25. September 1952 ihre Bildschirmpremiere in den Versuchssendungen des damaligen NWDR (später aufgeteilt in NDR, WDR und SFB). Ab dem 25. Dezember 1952 sagte sie dann aus Hamburg das erste reguläre bundesdeutsche Fernsehprogramm an. Nach und nach bekam sie bei jedem Sender der ARD Kolleginnen.

Christa Adomeit im Studio (Foto: E. Röder)
Die erste Fernsehansagerin bei „Telesaar“, dem ersten Fernseh-Sender an der Saar: Christa Adomeit.
Autogrammkarte Ruth Pfordt (Foto: Dr. Nancy Dierkes)
Ruth Pfordt sagte als erste das Programm des öffentlich-rechtlichen SR Fernsehens an.

Im Saarland, das bis zum 31. Dezember 1956 staatsrechtlich noch kein deutsches Bundesland war, mussten die Zuschauer lange auf „ihre“ Fernsehansagerinnen warten. Dafür bekamen sie dann gleich zwei „erste“ – eine im Privatfernsehen und eine im öffentlich-rechtlichen saarländischen Fernsehen des Saarländischen Rundfunks. Den Anfang machte am 1. April 1955 Christa Adomeit. Sie „eröffnete“ die erste Sendung des privaten Fernsehsenders „Telesaar“. Die Schauspielerin arbeitete als Sprecherin auch beim Hörfunksender „Radio Saarbrücken“ (dem direkten Vorgängersender des SR) und später auch beim SR.

Die zweite „erste saarländische Fernsehansagerin“ nach der Wiedervereinigung der Saar mit Deutschland (zum 1. Januar 1957) war im dann öffentlich-rechtlichen SR Fernsehen Ruth Pfordt, verheiratete Dierkes (*11. 8. 1936, ꝉ 16. 4. 2018). Anders als ihre drei Vorgängerinnen 1935, 1952 und 1955 war die geborene Ottweilerin keine Schauspielerin. Die Tochter eines Schlossers arbeitete – auch weiterhin – als Regierungsangestellte im saarländischen Innenministerium. Dort war man mächtig stolz. So sehr, dass man die Sekretärin mit einem Regierungsauto zum Sender fuhr, wenn die Zeit zwischen Dienstende und Arbeitsantritt beim Fernsehen mal knapp wurde, wie sie dem Verfasser 2014 in einem Telefonat erzählte. Diese „Regierungsnähe“ hatte allerdings mit ihrem neuen zusätzlichen Arbeitsplatz Fernsehstudio nichts zu tun. Ein Freund hatte ihr vorgeschlagen, sich doch mal beim neuen SR Fernsehen zu bewerben. Kurz zuvor war die junge Ruth als Gewinnerin eines Schönheitswettbewerbs „Miss Saarland“ geworden.

Ruth Pfordt beim Schönheitswettbewerb. (Foto: Dr. Nancy Dierkes)
Ruth Pfordt (l.) als Siegerin beim Schönheitswettbewerb.

Aber ihr gutes Aussehen allein reichte dem SR nicht. Sie wurde zuerst mal zu einem Casting eingeladen (zusammen mit, wie zu lesen ist, 60 Mitbewerberinnen). Intendant Dr. Franz Mai persönlich leitete es und entschied sich für sie. Dass sie so etwas „Französisches“ habe, gefiel ihm besonders, erinnert sich Christl Ohnesorg, die als Maskenbildnerin im „Pferdestall“ dabei war. Das Fernsehen des Saarländischen Rundfunks produzierte damals noch aus einem provisorisch umgebauten Gebäude, in dem sich auch der frühere Pferdestall von Schloss Halberg befunden hatte.

Nach dem Okay des obersten Chefs wurde die junge „Quereinsteigerin“ im neuen Beruf gleich ins „kalte Wasser“ geworfen, also live vor der Kamera eingesetzt. Noch für ein Jahr unterstützte sie der SR aber mit begleitendem professionellem Sprechunterricht. Ansonsten dürfte „Learning by doing“ die Methode gewesen sein, mit der sie das neue Metier erlernte. Tipps der Kameraleute und des ersten Regisseurs Truck Branss werden ihr dabei geholfen haben.

Ruth Pfordt vor der Studiokamera im ehemaligen Pferdestall auf dem Halberg (Foto:  Reiner F. Oettinger/SR)
Im provisorischen Pferdestall-Studio stand Ruth Pfordt als Ansagerin zum ersten Mal vor der Fernseh-Kamera. An der Kamera Hans-Joachim „Pit“ Weber.

Das tat aber ihrer schnell wachsenden Beliebtheit keinen Abbruch. Bald wurde sie für die Saarländerinnen und Saarländer ein vertrautes Gesicht und eine gern gehörte Stimme des immer weiter verbreiteten Fernsehens. „Es war für mich eine schöne Zeit“, sagte sie dazu rückblickend rund 50 Jahre später. Daran, wann genau sie ihre erste Ansage im SR Fernsehen machte, konnte sie sich nicht mehr erinnern. Der Rundfunkzeitschrift „Funk Uhr“ hatte sie aber das Datum genannt: 13. Januar 1961. So berichtete das auch eine saarländische Zeitung. „Ausgerechnet an einem Dreizehnten“, einem Ostermontag, habe sie ihre erste Ansage gemacht. Und das zudem noch vor der ersten Live-Einspielung des SR Fernsehens im ARD-Programm überhaupt, der Übertragung der Deutschen Federballmeisterschaften. Das stimmt mit der Erinnerung von Christl Ohnesorg überein: „Jedenfalls spätestens ab dem 1. Februar 1961 habe sie angesagt, als der SR damit begann, im Vorabendprogramm regelmäßig an allen Wochentagen eine eigene Regionalsendung auszustrahlen.“

Als ihre jüngere Tochter, die heutige Fachärztin für Kardiologie, Dr. Nancy Dierkes, auf die Welt kam, war Mutter Ruth bereits zu einem der bekanntesten Gesichter des SR Fernsehens geworden – auch über die Landesgrenzen hinaus. Anfangs beeindruckten Tochter Nancy allerdings nur die Ansagen der Kindersendung „Sandmännchen“. Die waren zuhause „Pflichtprogramm“, wenn die Mutter sie machte. Häufiger mal durfte Nancy auch mitgehen zum Sender – musste dort allerdings in der Maske bei Hilde Thiesen warten, bis ihre Mutter aus dem inzwischen schon „richtigen“ Fernsehstudio zurückkam. Wenn Zeit war, malte dann Maskenbildnerin Hilde gern mit der kleinen Nancy und achtete auch darauf, dass sie ihre mitgebrachten Butterbrote aß.

Ruth Pfordt im Pferdestallstudio (Foto: SR/H. Thiesen)
Unter den großen Scheinwerfern konnte es damals recht heiß werden. Dann kam Hilde Thiesen zum Nachschminken zu Ruth Pfordt ins Pferdestall-Studio.
Ausschnitt eines Zeitungsartikels (Foto: SR)
Ausschnitt aus einem saarländischen Zeitungsbericht.

Gleich nach der Maske blieb Ruth Pfordt wenig Zeit zum geselligen Feierabendausklang mit den Kollegeninnen und Kollegen. Sie düste mit ihrem blauen VW-Käfer „Jogi“ nach Hause zu Mann und älterer Tochter in Neunkirchen. Darum habe es immer schnell gehen müssen, erinnert sich Hilde. Peter Blattner, der erste (und anfänglich auch einzige) Tontechniker des SR-Fernsehens, hat mit der „damenhaften“ Ruth Pfordt gern zusammengearbeitet. Eine sehe angenehme Stimme habe sie gehabt.
Als eine „kleine Königin im Studio“ empfand sie damals Hans-Joachim „Pit“ Weber, einer der ersten Kameramänner des SR Fernsehens. Schließlich sei Fernsehansagerin damals etwas ganz Tolles gewesen. Und zudem war Ruth Pfordt ja anfangs die einzige des SR. Das veranlasste eine Saarbrücker Zeitung zu einem liebevoll warnenden Rat: „Darum liebe Ruth: gib hübsch acht, erkälte Dich nicht! Noch bist Du unersetzlich!“ Diese Sorge hatten wohl auch die Fernseh-Verantwortlichen beim SR und sorgten später für Unterstützung. Zuerst kam die Schauspielerin Gertrud Roll hinzu (die später u. a. an Bühnen in Berlin und Wien sehr erfolgreich war) und dann die gelernte Saarbrücker Schauspielerin Elke Hermann (ab 1991 als SR-Fernsehchefredakteurin die zweite Frau in dieser Funktion in der ARD).

Gertrud Roll und Elmar Solzbacher (Foto: Fred Nermerich)
Gertrud Roll und Elmar Solzbacher.
Hermann Elke und Wolfhard Liegmann, Landtagswahl 1975 (Foto: Reiner F. Oettinger)
Elke Hermann und Wolfhard Liegmann im Wahlstudio bei der Landtagswahl 1975.

In ihren letzten Berufsjahren als freie SR-Mitarbeiterin arbeitete Ruth Pfordt parallel auch für den Werbefunk des Saarländischen Rundfunks. Hilde Thiesen ist noch ein Werbespot für Brechbohnen im Gedächtnis, den sie häufig sprach. Für Rainer Freyer (Autor der Bücher und des Internetportals „Saarnostalgie“) war Ruth Pfordt „viele Jahre lang eine nette, fast tägliche Begleiterin“ im Werbefunk des Saarländischen Rundfunks. „Sie war dort … mit ihrer angenehmen Stimme an jedem Werktag mehrmals zu hören.“ Ab 1975/76 widmete sich Ruth Pfordt dann ausschließlich ihrer Familie. Der Verzicht auf die Arbeit am Mikrofon und vor der Kamera war ihr nicht leicht gefallen.

Ruth Pfordt mit ihren Töchtern (Foto: Dr. Nancy Dierkes)
Mutter Ruth Pfordt mit ihren Töchtern Kim (l.) und Nancy.

Bis in die letzten Lebensjahre von Ruth Pfordt in Neu-Isenburg (bei Frankfurt/Main) blieb das Fernsehen öfter mal ein Gesprächsthema zwischen Mutter und Tochter. Deshalb weiß Tochter Nancy ganz genau, dass ihre Mutter die Zeit als Ansagerin beim Fernsehen „sehr genossen“ hat: „Das war damals noch etwas ganz Besonderes und hat ihr viel bedeutet“. Oft habe sie zuhause auch von Prominenten und Kollegeninnen und Kollegen erzählt. Von dem bald sehr erfolgreichen SR-Showregisseur Truck Branss zum Beispiel, dessen Musiksendungen sie bundesweit im Ersten Deutschen Fernsehen (also im ARD-Programm) auch mal ansagen durfte. Oder auch von Hildegard Knef, Udo Jürgens, Thomas Fritsch und dem Quizmeister Lou van Burg, die sie alle im Saarländischen Rundfunk kennen lernte.

Video [SR.de, (c) SR, 29.10.2020, Länge: 00:43 Min.]
Ruth Pfordt sagt am 18. Februar 1969 eine Sendung in der Faschingszeit an. Quelle: SR-Fernseharchiv

Mit Bewunderung hat Dr. Nancy Dierkes ihre Mutter auch ansonsten in Erinnerung: „Sie war eine sehr aktive junge Frau und in manchem mit vorweg.“ Ein Jahr sei sie z. B. als Au Pair-Mädchen in England gewesen, um dort ein Sprachdiplom zu erwerben. Keineswegs üblich in dieser Zeit war auch ihr Hobby: „Als eine der noch wenigen Frauen an der Saar war sie eine begeisterte Segelfliegerin.“ Ihren Flugschein C erwarb sie in Österreich, wie sie der Zeitschrift „Funk Uhr“ erzählte. Ihr Neunkircher Aeroclub habe dem damals einzigen weiblichen Mitglied für den erforderlichen Alleinflug kein Segelflugzeug zur Verfügung stellen wollen. Im Aeroclub bekam Ruth Pfordt laut „Funk Uhr“ auch ihren Spitznamen „Comtesse“ („Gräfin“). Sie hatte dort den „etwas rüden“ Umgangston der Männer bemängelt. Die hätten sich fortan in ihrer Gegenwart aber einer „etwas vornehmeren Sprechweise“ befleißigt.  

„Funk Uhr“ berichtete über Ruth Pfordt. Zum Vergrößern bitte anklicken.

In der Zeit des ungarischen Volksaufstands gegen das kommunistische System 1956 war Ruth Pfordt dort für das Rote Kreuz tätig. Für Politik hat sie sich allerdings nie sonderlich interessiert. Danach, was Ruth Pfordt über die Geschichte ihrer eigenen Familie und deren Rolle in der Saarpolitik vor und nach der Volksabstimmung 1935 wusste, konnten wir sie nicht mehr befragen. Daran wird demnächst gemäß einem Ottweiler Stadtratsbeschluss vom 31. 1. 2013 mit Stolpersteinen für mehrere Mitglieder aus den Familien Pfordt erinnert, u. a. einem für die ihre Großmutter Karoline Pfordt, geb. Zimmer.

Hans-Joachim Hoffmann, der Koautor dieses Fundstücks und Verfasser mehrerer historischer Arbeiten zur Ottweiler Lokalgeschichte, hat dies zum Anlass sorgfältiger Recherchen genommen:
Ruth Pfordt wuchs in einem familiären Umfeld auf, dessen politische Orientierung die Sozialdemokratie bzw. der Kommunismus war. Mehrere Familienangehörige hatten sich in der politischen Diskussion um die Rückgliederung des Saargebietes eindeutig für die Beibehaltung des Status quo ausgesprochen und damit zugleich entschieden gegen den Nationalsozialismus Stellung bezogen.

Ruth Pfordts Tochter Nancy erinnert sich an vielfache Besuche der Großeltern Friedrich Karl Pfordt (1. 1. 1909 – 9. 8. 1982) und Anna Thomas (*27. 1. 1910 in Hüffelsheim/Bad Kreuznach) in Ottweiler, insbesondere jedoch an Erzählungen über die Urgroßmutter Karoline Pfordt, geb. Zimmer (28. 9. 1885 – 9. 5. 1969). Sie hatte in ihrem Wohnhaus in der Linxweilerstr. 1 (unterhalb des heutigen Stadtmuseums) eine Gastwirtschaft betrieben, die als Treffpunkt der KP-Ortsgruppe galt und ihr den Ruf als „Rosa Luxemburg von Ottweiler“ einbrachte. Die Erinnerungen von Dr. Nancy Dierkes lassen unter Einbeziehung von Archivalien Kindheit und Jugend Ruth Pfordts lebendig werden:

Geboren am 11. August 1936, wuchs Ruth Pfordt mit ihrer Schwester Inge (*21. 4. 1935) im Haus Linxweilerstraße 1 auf. Dort wohnten neben den Großeltern auch ihre Eltern sowie bis 1935 ihr Onkel Friedrich Karl Pfordt (31. 8. 1877 – 11. 8. 1958) mit seiner Familie.

Wohnhaus Familie Pfordt, heute Hans Joachim Hoffmann (Foto: Hans-Joachim Hoffmann)
Das Wohnhaus der Familie Pfordt in der Haus Linxweilerstraße 1 in Ottweiler, heute.

Der Sohn des Onkels, also Ruth Pfordts Cousin Wilhelm Pfordt, emigrierte am 16. 2. 1935 nach Frankreich, schloss sich der Internationalen Brigade in Spanien an. Am 20. 10. 1936 fiel er in der Schlacht bei Tardienta und wurde auf dem dortigen Friedhof bestattet.[1] Seine Schwester (also die Cousine von Ruth Pfordt) Hildegard Pfordt (12. 1. 1912 – 28. 2. 2005 in St. Veit/Österreich) trat vor 1935 der SPD bei und engagierte sich im Saar-Abstimmungskampf für den Status quo an der Seite der Führer der Einheitsfront Max Braun (für die Sozialdemokraten) und Fritz Pfordt (für die Kommunistische Partei), eines entfernteren Verwandten.

Nach der Rückgliederung des Saargebietes emigrierte sie nach Frankreich, heiratete in der Emigration den Österreicher Peter Griebichler und nahm die österreichische Staatsbürgerschaft an. Am 5. 3. 1941 verhaftete der SD (Sicherheitsdienst des Reichsführers SS) das Ehepaar Griebichler in Paris und ordnete die Inhaftierung Hildegard Pfordts in der Strafanstalt Cherche Midi an. Nach ihrer Überstellung nach Deutschland verurteilte sie das OLG Dresden zu 3 Jahren Gefängnis wegen Landesverrates, die sie (bis zu ihrer vorzeitigen Entlassung  am 12. 3. 1944 nach Graz) im Strafgefangenenlager Gütersloh verbrachte. Ihr Ehemann verbüßte eine Haftstrafe von 2 ½ Jahren.[2]

Karoline Pfordt, die Großmutter von Ruth Pfordt, war seit dem 3. 11. 1906 mit dem Grubenschlosser Friedrich Ludwig Pfordt (6. 10. 1867 – 30. 11. 1931) verheiratet. Er wurde erstmals am 6. 1. 1905 zum Mitglied der Stadtverordneten-Versammlung Ottweilers gewählt worden und gehörte diesem Gremium durch Wiederwahl bis 1926 ununterbrochen an.

Friedrich Ludwig Pfordt (Foto: Gudrun Pfordt)
Friedrich Ludwig Pfordt.

Nach der ersten Kommunalwahl 1920 begegnen wir Friedrich Ludwig Pfordt als einem von 11 Stadtverordneten der „Vereinigten Sozialdemokratischen Parteien“ in der Stadtverordnetenversammlung Ottweilers. Zu diesem Bündnis hatten sich die Strömungen der Sozialdemokratie (Mehrheitssozialdemokraten – MSPD – und Unabhängige Sozialdemokraten – USPD) zusammengeschlossen, um ein möglichst gutes Ergebnis bei der ersten Kommunalwahl 1920 zu erzielen. Vor Eintritt in die Tagesordnung der Sitzung am 6. Mai 1921 erklärte Karl Sticher[3], „dass seine Partei [USPD, der Verf.] sich als ‚Vereinigte kommunistische Partei‘ bezeichne …“[4] Der KP-Fraktion in der Stadtverordneten-Versammlung gehörte auch Friedrich Ludwig Pfordt bis zu seinem Ausscheiden als Stadtverordneter 1926 an. Sein früher Tod am 30. 11. 1031 ersparte ihm im Umfeldd des Abstimmungskampfes die Nachstellungen durch die „Deutsche Front“ sowie die Verfolgungen duech den Nationalsozialismus nach 1935.

Ruth Pfordts Urgroßmutter Karoline (Foto: Gudrun Pfordt)
Ruth Pfordts Urgroßmutter Karoline Pfordt, geb. Zimmer.

Seine Frau Karoline dagegen hatte noch unter Repressalien der Nationalsozialisten zu leiden. In einem im Stadtarchiv nicht mehr auffindbaren Schreiben heißt es:
„Treffpunkt der Antifaschisten waren auch die Wirtschaft der Karoline Pfordt in der Linxweilerstraße (neben dem Katasteramt). Karoline Pfordt war Mitglied der KPD und in der Roten Hilfe aktiv. In ihrem Haus waren auch Büro und Bibliothek der KP-Ortsgruppe untergebracht. 1935 entzogen ihr die Faschisten die Schankkonzession. Bei einem Überfall auf das Lokal zerstörten sie die Bilder von Rosa Luxemburg und Clara Zetkin im Gastraum.“[5]
Eine erste erhaltene Notiz über das Lokal Pfordt als KP-Treffpunkt datiert vom 6. 5. 1934. Das „Landjägeramt Ottweiler“ informierte die Polizei Ottweiler:
„Anlässlich des Sportfestes der kommunistischen Partei in Neunkirchen, sind von der Ortsgruppe der K. P. D. Ottweiler, 50 Personen, darunter 20 Frauen, nach Neunkirchen marschiert. Dieselben gingen aufgelöst in einzelnen Gruppen, sodaß es als einen Demonstrationszug nicht angesehen werden konnte. Fahnen und Uniformen pp. wurden nicht getragen.

Desgleichen sammelten sich gegen 12 ¼ Uhr, hier vor der Wirtschaft Ww. Pfordt, Linxweilerstrasse, etwa 20 Radfahrer der K. P. D. Ortsgruppen von Ottweiler, Niederlinxweiler, Oberlinxweiler und St. Wendel, die ihre Räder mit einem Wimpel der Sowjetunion geschmückt hatten. Sie fuhren geschlossen bis zum Schloßplatz, wo wir sie auflösten und zeitweise je 2 Mann in Abständen abfahren liessen. Zu Zwischenfällen ist es hier nicht gekommen und ist alles ruhig verlaufen.“[6]

Ihr Lokal sei nicht nur Treffpunkt der Mitglieder und Sympathisanten der KP, sondern auch der Status-quo-Anhänger gewesen. Zeugen hätten des Weiteren berichtet, dass in dem Lokal sowohl der Moskauer als auch der Straßburger Sender gehört worden sei. Zudem habe sich Karoline Pfordt im Zusammenhang mit der Verhaftung des Leiters der Bekennenden Kirche Martin Niemöllers (1. Verhaftung 1935/2. Verhaftung 1937 und Verurteilung mit anschließender KZ-Haft bis 1945) zum sog. „Kirchenkampf“ geäußert und den Katholiken vorgeworfen: „Ihr seid in Deutschland 25 Millionen Katholiken. Wie lange laßt ihr euch das noch gefallen.

Auch zu außenpolitischen Vorgängen habe Karoline Pfordt Stellung bezogen: Den Angriff republikanischer Flugzeuge auf den „Panzerkreuzer Deutschland“ am 29. Mai 1937 habe sie als Vorwand zur Rechtfertigung des Eingreifens der Internationalen Brigaden in die innerspanischen Angelegenheiten genommen, Probleme in der Nahrungsmittelversorgung ebenso kritisiert wie den voraussehbaren Einsatz von Kindern als Kanonenfutter. [7]

Die politische Haltung Karoline Pfordts führte zwangsläufig nach der Volksabstimmung am 13. Januar 1935 zu erfolgreichen Bestrebungen der örtlichen NSDAP und ihrer Gliederungen, das Lokal schließen zu lassen. Die unnachgiebige politische Haltung Karoline Pfordts bezahlte sie zweimal mit Verhaftungen, verbunden mit Freiheitsentzug (Verhaftung 1937 sowie 2 Tage Schutzhaft 1944 in Neunkirchen).[8] Dies führte auch zu ihrer Anerkennung als „Opfer des Faschismus“ am 22. 12. 1948.

Pfordt Familienfoto (Foto: Gudrun Pfordt)
Ruth Pfordts Vater Friedrich Karl (obere Reihe von l.) und sein Bruder Otto Pfordt. Darunter deren Eltern Karoline und Friedrich Ludwig Pfordt.

Ruth Pfordts Vater Friedrich Karl Pfordt trat politisch nicht mehr in Erscheinung. Seinen Bruder Otto Pfordt berief dagegen der von der französischen Besatzungsmacht eingesetzte Bürgermeister Jakob Zender (26. 9. 1904 – 27. 6. 1976) als eines von 12 Mitgliedern 1945 in das Gemeindekomitee zum Wiederaufbau der Verwaltung und des politischen Lebens in Ottweiler. Es trat am 4. 1. 1946 erstmals zusammen und leitete die Vorbereitungen der ersten Kommunalwahl 1946 in die Wege . [9]

Ruth Pfordt erlebte die NS-Zeit nur als (Klein-)Kind, so dass sie die geschilderten Ereignisse lediglich durch Erzählungen kennengelernt haben wird. Sie heiratete am 30. 8. 1962 Wolfgang Dierkes, den Sohn des damaligen Ottweiler CDU-Landrates Dr. Johannes Dierkes (*21. 1. 1900 in Daseburg; ꝉ 28. 1. 1970 in Langensteinbach). Ruth Pfordt lebte also in einem politischen Umfeld, in dem die nationalsozialistische Vergangenheit bestimmt thematisiert wurde, zumal ihr Schwiegervater 1951 selbst als Opfer des Nationalsozialismus anerkannt worden war. [10]

Stolpersteine Familie Pfordt (Foto: Sabrina Lambert/Stadt Ottweiler)
Ottweiler Stolpersteine für fünf Mitglieder der Familie Pfordt.

In der Nachkommenschaft ist das Wissen um das entschiedene Eintreten der Familien Pfordt gegen den Nationalsozialismus weitgehend verloren gegangen. Nur die Erinnerung an die „Rosa Luxemburg aus Ottweiler“, also an Karoline Pfordt, genannt Lina, blieb erhalten. Die Stadt Ottweiler wird an das politische Engagement der Familien Pfordt durch die Verlegung von fünf Stolpersteinen erinnern, und zwar für Karoline Pfordt und die Familienmitglieder ihres Schwagers: Karl Wilhelm Pfordt, Emmi Pfordt, den Spanienkämpfer Wilhelm Pfordt und Hildegard Pfordt, verheiratete Griebichler, die Sekretärin Max Brauns.

Stolperstein Karoline Pfordt (Foto: Sabrina Lambert/Stadt Ottweiler)
Stolperstein für die engagierte Kämpferin gegen den Nationalsozialismus Karoline Pfordt.

Als Dr. Nancy Dierkes jetzt von den Stolpersteinen für ihre Vorfahren hörte, war sie sehr beeindruckt. So detailliert hatte sie das große Engagement ihrer Ottweiler Familie gegen den Nationalsozialismus an der Saar nicht gekannt. Auch ihre Mutter Ruth Pfordt wäre es gewesen, ist sie überzeugt.

*Hans-Joachim Hoffmann ist Preisträger des Alex-Deutsch-Preises 2019. Ausgezeichnet wurde er für seine historischen Recherchen seit mehr als zehn Jahren u. a. zur jüdischen Vergangenheit Ottweilers und dem Widerstand gegen den Nationalsozialismus. Mit dem Alex-Deutsch-Preis erinnert eine Stiftung an den Holocaust-Überlebenden Alex Deutsch (1913-2011) und sein unermüdliches Engagement gegen Fremdenfeindlichkeit und Antisemitismus. 

Anmerkungen:

[1] Vgl. LAS, LEA 1099: Pfordt, Karl; vgl. Hewer, Max, Von der Saar zum Ebro. Saarländer als Freiwillige im Spanischen Bürgerkrieg 1936–1939, Saarbrücken 2016, S. 192 f.

[2] Vgl. LAS, LEA 9574: Pfordt, Hildegard.

[3] Vgl. Weber/Herbst, S. 766. Nach diesen Angaben wechselte Sticher von der USPD zur KP und gehörte dem Landesrat vom 27.1.1924 bis 1926 an.

[4] Vgl. ebd. Sitzung vom 6. Mai 1921, S. 255–262, hier: S. 255 f.: in der Zeitung „Saarländische Stimme der Freiheit“ erschien 1961 eine achtteilige Darstellung „Geschichte der KPD Bezirk Saar“ (ohne Verfasserangabe); in ihr fand die Ortsgruppe Ottweiler der KPD keine Erwähnung.

[5] Volk, Hermann, Heimatgeschichtlicher Wegweiser zu Stätten des Widerstandes und der Verfolgung 1933 – 1945, Band 4: Saarland, Köln 1989, S. 101.

[6] Das Schreiben erhielt ich in Kopie von Dr. Dieter Wolfanger; es lässt sich im Stadtarchiv Ottweiler nicht mehr auffinden; vgl. Fläschner, Thomas, „Damit alle radfahrenden Arbeiter Saarabiens unserm Verein zugeführt werden“ – Die Geschichte des Arbeiter-Rad- und Kraftfahrer-Bundes „Solidarität“ als Verband der Arbeiter-Sport- und Kulturbewegung an der Saar zwischen Kaiserreich und Nazi-Diktatur (= Dialog 25), Saarbrücken 2017, S. 59–124; vgl. Paul, Gerhard, „Mach dich frei!“ Die Arbeiterkulturbewegung der Saargebietszeit, in: Mallmann, Klaus-Michael, Paul, Gerhard, Schock, Ralph, Klimmt, Reinhard (Hg.), Richtig daheim waren wir nie. Entdeckungsreisen ins Saarrevier 1815-1955, Bonn 1995, S. 98–102.

[7] Vgl. LAS, Sammelakten betr. Schutz des Volkes. Hoch- und Landesverrat 1.1.1936–26.3.1938, Band I, S. 376: Betrifft. Ermittlungsverfahren gegen die berufslose Karoline Pfordt, geb. Zimmer aus Ottweiler-Saar, geb. am 28.9.1885 daselbst, religionslos, verwitwet wegen Vorbereitung zum Hochverrat. RV vom 18.12.1934 – III a 25371.

[8] Vgl. LAS, LEA 12783, Bl. 5: Angaben im Formblatt „Beratungsstelle Opfer des Faschismus“, datiert 22.2.1947.

[9] Vgl. Stadtarchiv Ottweiler, Beschlüsse des Stadtrates vom 26. November 1930 bis zum 25.3.1953, S. 349.

[10] Vgl. zu Dr. Johannes Dierkes: Reuther, Christian, „Heraus aus dem Kreis!“ – Auskreisungsbestrebungen der Stadt Neunkirchen während der Völkerbundzeit, in: Landrat des Landkreises Neunkirchen (Hg.), Das Landkreis-Neunkirchen-Buch I. Ausgabe 2017–18, Marpingen 2017, S. 252–263, hier: Anm. 5, S. 260.

Redaktion für den Arbeitskreis SR-Geschichte:
Axel Buchholz; Eva Röder (Gestaltung/Layout); Magdalena Hell (Illustrationen und Recherche); Sven Müller (Video).

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