Die „Goldene Europa“ vom Saarländischen Rundfunk
Erster deutscher Radio- und Fernseh-Musikpreis
Laut SPIEGEL war die „Goldene Europa“ in ihren besten Jahren „der deutsche Pop-Oscar“. Zum Organisationsteam gehörte als Redakteur in der SR-Pressestelle von Anfang an Rolf-Dieter Ganz. Er ist der Autor dieses „Fundstücke“-Beitrags über den ersten deutschen Popmusik- und Schlagerpreis in Radio und Fernsehen.
Von Rolf-Dieter Ganz*
Als Peter Maffay Anfang September aus Anlass seines 70. Geburtstags am SR 3-Mikrofon bei Christian Job an alte Zeiten erinnerte und sich artig beim Sender für vielfältige Unterstützung bedankte, fiel mir sofort die Verleihung der Goldenen Europa (GE) an den jungen, recht schüchternen Schlagersänger 1970 in der Saarlandhalle ein. Im Laufe der Jahre erhielt er den immer begehrteren Preis achtmal – wie Kollege Udo Jürgens, der schon einen der allerersten für 1968 bekam. Ein 68er der ganz anderen Art … Offensichtlich hatten die verantwortlichen Programmmacher bereits damals die große Karriere der beiden späteren Showstars und achtfachen GE-Gewinner vorausgeahnt.
Gleich zweimal musste sich damals der Saarländische Rundfunk gegen die Konkurrenz aus dem Nachbarland Luxemburg wehren: mit seiner Europawelle Saar gegen die „vier fröhlichen Wellen“ und mit der Goldenen Europa gegen die „Goldenen Löwen“ von Radio Luxemburg. Schließlich wollte und konnte man den Luxemburgern das Feld nicht allein überlassen.
Der Konter aus Saarbrücken saß: „Frischer Wind aus Südwest“ hieß es ab 1964, dem Geburtsjahr der Europawelle Saar. Trotz anfänglich heftiger Kritik aus den eigenen ARD-Reihen kam die neue Mischung an. Die Hörerbedürfnisse hatten sich geändert. Ein großflächiges Live-Angebot aus viel populärer Musik und – im Gegensatz zu Radio Luxemburg – auch mit eingestreuten Wortbeiträgen, stündlichen Nachrichten und informativen Magazinen zuerst insbesondere in den Abendstunden. Als erster bundesdeutscher Sender gab der SR seinem 1. Programm auch einen eigenen Namen: Europawelle Saar. Womit der Weg zum Namen des Showpreises schon vorgezeichnet war. Schon damals war der Sender ein Vorreiter, dessen Programmphilosophie immer mehr Nachahmer in den Programmen der anderen öffentlich-rechtlichen und später auch privaten Hörfunksender fand.
Die Musik spielte von Anfang an eine große Rolle im Programm der Europawelle Saar. Discjockeys waren die neuen „Radio-Stars“; ob „Chanson de Paris“ (Präsentator Pierre Séguy) ab 1965 oder „Hallo Twen“ mit Manfred Sexauer (ebenfalls 1965) mit Pop-Musik aus England oder ein Jahr später die Geburt der „Deutschen Schlagerparade“ – bis heute verbunden mit dem Namen von Dieter „Thomas“ Heck. Aus dieser Radiosendung ging ab 1968 die Verleihung der „Goldenen Europa“ hervor. Und Jahre danach auch die „ZDF-Hitparade“, Regie: Truck Branss, Moderation: Dieter „Thomas“ Heck.
Die Preis-Initiatoren und Verleiher waren neben Intendant Dr. Franz Mai als Männer der ersten Stunde Moderator Dieter „Thomas“ Heck, Hauptabteilungsleiter Unterhaltung Albert C. Weiland, sein Abteilungsleiter Dr. Reimund Hess und Werbefunkchef Emil Lehnen. Im Rückblick begegnen wir vor allem dank der Goldenen Europa der Crème de la Crème des internationalen Show-Bizz.
Es war der erste deutsche Rundfunkpreis für deutsche Schlager. Die Botschaft dahinter war eine mehrfache: Dank und Anerkennung für die Partner in den Schallplattenfirmen, die mit dem SR dem Unterhaltungsbedürfnis der Menschen gerecht werden wollten, Ermunterung für den Einsatz der deutschen Sprache in der populären Musik und Würdigung des Erfolges deutscher Musikschaffender im Ausland.
Doch aller Anfang war schwer – zuerst noch ohne den Zusatz „Goldene“. Und um größere Aufmerksamkeit zu erlangen, benötigte der Schlagerpreis der Europawelle Saar bei seiner Premiere noch die Hilfe des Deutschen Filmballs. Aber nach und nach wurde er zu „Deutschlands höchster Schlagertrophäe“ (Berliner Zeitung). Die Namen der Preisträger konnten sich von Beginn an hören lassen. Bei der ersten Verleihung für das Jahr 1968 waren es am 1. 2. 1969 in der Rheingoldhalle in Mainz Rex Gildo, Roy Black, Vicky Leandros und Udo Jürgens. Bei der zweiten Verleihung schon am 5. Dezember 1969 auf der anderen Rheinseite im benachbarten Wiesbaden, ging der Preis u. a. an Alexandra als „interessanteste Neuentdeckung“ und an Heintje als Sonderpreisträger.
Zweimal wurde der Preis also beim Deutschen Filmball „auswärts“ verliehen, dann viele Male im Heimspiel in Saarbrücken. Die dritte Verleihung war die erste im Saarland. Sie wurde 1970 gleich doppelt gefeiert: vor großem heimischen Publikum in der Saarbrücker Saarlandhalle und den Größen des Show- und Plattengeschäfts im SR-Konferenzgebäude. Danach bekamen die Preisträger ihre Trophäen vorübergehend für wenige Jahre im SR-Konferenzgebäude vor einer nur kleinen – dafür aber exklusiven – Gästeschar des deutschen Show-Bizz. Bald konnten dann aber wieder die Hörerinnen und Hörer der Europawelle an einer großen öffentlichen Veranstaltung in der Saarlandhalle teilnehmen.
Die Kosten teilten sich der öffentlich-rechtliche SR mit der privatwirtschaftlichen Schallplattenindustrie. Diese Zusammenarbeit wurde erst kritisch beäugt, schließlich dann landauf landab nachgeahmt.
Die anfängliche Beschränkung auf deutsche Künstler und Produzenten – als Unterstützung gegen die Konkurrenz aus den USA und England – ließ sich auf Dauer nicht durchhalten. Also wurden die Preiskriterien ausgeweitet. Zwar hatten die besonderen Texte und Themen in den Liedern der Singer-Songwriter wie Reinhard Mey schon Anfang der 70er Jahre als preiswürdig gegolten, nun aber wurden die Kategorien um die Gebiete Comedy, Unterhaltung, Politik, Sport, Klassische Musik oder Schauspiel erweitert. Das sorgte beim Publikum immer wieder für Überraschungen – und Zustimmung der Fans. Diese Öffnung für neue Töne, das Erkennen von Trends in der Unterhaltungsbranche insgesamt bescherte nicht nur den Fernseh-Zuschauern Begegnungen mit internationalen Stars – auch das Publikum in Saarbrücken profitierte über Jahrzehnte davon.
Zu den Preisträgern gehörte 1977 – sicher eines der Highlights – Leonard Bernstein, der amerikanische Komponist und Dirigent. Er erhielt die Goldene Europa durch Programmdirektor Dr. Heinz Garber im Beisein geladener Verleihungsgäste in Paris (!). Die Begründung der Jury: Bernsteins geniale Verbindung von U- und E-Musik als Komponist, Dirigent, Interpret. Die stellte er als Dank dann gleich noch einmal live am Klavier unter Beweis: Zusammen mit Udo Jürgens als Sänger bot er den Song „Maria“ aus seinem Musical „West-Side-Story“ dar.
„Opfer“ der Ausweitung auf internationale (englisch-sprachige) Musik war ausgerechnet Mitbegründer Dieter „Thomas“ Heck. Er blieb seiner Vorliebe und seinem Engagement für den deutschsprachigen Schlager treu und machte nicht mehr mit. Neue Moderatoren brauchte das Land insbesondere bei den Sendungen in der ARD: Aus dem eigenen Haus kamen Jan Hofer und Manfred Sexauer, Ilona Christen-Kleitz und Hermann Stümpert sowie Pit Weyrich, der beim SR als Kameramann angefangen hatte. Als Gäste moderierten das Überraschungs-Duo Caterina Valente und der Journalist Werner Baecker, Hape Kerkeling und Max Schautzer.
Da hatte der SR längst auf einen prominenten Show-Manager im Kreis der Macher gesetzt: Hans R. Beierlein gab dem Preis einen neuen Erfolgs-Schub. Obwohl Jurys (Hörer, Zuschauer, Fachpresse, Plattenkäufer, Demoskopen) Namen und Daten zulieferten, lag die Entscheidung über die Preisträger stets beim SR. Allerdings musste das Orga-Team bei der Wahl der Preisträger erkennen, dass nicht alle Träume reiften. Dann hieß es scherzhaft: angefangen bei Frank Sinatra seid Ihr bei Roland Kaiser gelandet … Denn die Anwesenheit der Gewinner war eigentlich Pflicht. Den kürzesten Weg hatten logischerweise die beiden Saarländerinnen Ingrid Peters und Nicole … Und später auch Gerd Dudenhöffer.
Die Verleihung der Goldenen Europa 1981 war die erste, die komplett auch im Ersten Deutschen Fernsehen ausgestrahlt wurde. Das Galakonzert wurde in der fernsehtauglichen Saarbrücker Saarlandhalle aufgezeichnet und zeitversetzt gesendet – die laufende Nummer 14 der Verleihungsshows. Neun Jahre später, am 12. April 1990, wurde die Goldene Europa zum ersten Mal dann live übertragen.
Soweit das im SR-Hörfunkarchiv noch herauszufinden war, begannen auf der Europawelle Saar längere Sendungen über die Verleihung der Goldenen Europa bereits 1971. Und auch mit den Live-Übertragungen hatte die Europawelle die Nase vorn: Die erste fand bei der Verleihung am 22. Juni 1978 statt. Als 1981 dann der SR damit begann, die komplette GE-Verleihung zeitversetzt im Fernsehen zu senden, musste der Hörfunk einen Gang zurückschalten und die Verleihung erst parallel zum Fernsehen (also ebenfalls zeitversetzt) übertragen.
Das ging dann so bis 1988. 1989 gab es keine GE-Verleihung. Ab 1990 übertrug der Hörfunk die Verleihung wieder live – wie das Fernsehen dann auch. Ab 1993 (als das Fernsehen mit der Goldenen Europa auf Wanderschaft durch Europa ging) lassen sich keine Angaben zur Ausstrahlung im Hörfunk finden.
Das Silberjubiläum der Goldenen Europa fand an einem besonderen Datum (nur) im Fernsehen statt: Silvester 1993. Moderation Pit Weyrich, Preisträger Harald Schmidt und Laudator Hape Kerkeling. Sie sorgten für große Heiterkeit, als sie zu Beginn der Show sich gegenseitig die Rolle als Moderator streitig machten …
Internationales Fernsehpublikum kam dazu: 1992 wurde die Goldene Europa live aus Saarbrücken in der Eurovision gesendet. Aber die Produktionskosten begannen davon zu laufen und den SR-Etat zu überfordern. Da verließ die Goldene Europa unter Leitung von Fernseh-Unterhaltungschef Dr. Michael Beckert nicht nur wie gleich zu ihrem Beginn Saarbrücken, sondern gleich die Bundesrepublik. Ab Mitte der 90er Jahre wurde sie von Budapest, Bozen und Innsbruck mit den dortigen Fernsehsendern als Koproduktionen ausgestrahlt – eine für beide Seiten sinnvolle und kostengünstigere Lösung. 1997 holte Intendant Fritz Raff die Goldene Europa sehr zur Freude der Saarländerinnen und Saarländer wieder zurück in die Heimat. Jan Hofer moderierte die SR-ARD-Show als Heimspiel in der Saarlandhalle u. a. mit Gerd Dudenhöffer alias Heinz Becker und der Kelly Family. Kurz vor Weihnachten eine hochwillkommene Bescherung der Millionen Zuschauerinnen und Zuschauer sowie der Gäste in der Saarlandhalle.
Die wechselvolle Geschichte des ersten und damit ältesten deutschen Radio- und später auch Fernsehpreises ist reich an Kuriositäten. Von 1968 bis 2003 erhielten über 300 Showgrößen aus aller Welt die Goldene Europa. Ihre Namen belegen, dass der ursprüngliche Gedanke, mit dem Preis Talente fördern zu wollen, auf Dauer nicht ausgereicht hatte, um den Preis auf das Niveau zu führen, das er über Jahrzehnte besaß. 1983 kooperierte der SR bei der Verleihungsshow mit der Deutschen Welle, so dass Zuschauer in Asien und Nordafrika Stars wie Mireille Mathieu oder Culture Club miterleben konnten. Die Benefiz-LP mit den Preisträger-Titeln brachte der Deutschen Multiple Sklerose Gesellschaft einen tollen Erlös von über 200.000 D-Mark.
1984 funktionierte Preisträgerin Elke Heidenreich die Trophäe kurzerhand zum Türstopper um – eine eher eigenartige Würdigung des Preises. Zwölf Millionen Zuschauer (!) erlebten ein Jahr später den Appell von Karlheinz Böhm und spendeten anschließend eifrig für Afrika. Ebenfalls Preisträger waren damals der Berliner Showmaster Hans Rosenthal und zum siebten Mal Udo Jürgens. 1989 fiel die Verleihung aus Termingründen aus – kein gutes Zeichen, wie sich so langsam abzeichnete. 2000 sollte Mario Adorf die Moderation übernehmen, musste allerdings krankheitsbedingt absagen. Für ihn sprang Thomas Elstner ein, der Sohn von Frank Elstner. 2001 fand keine Verleihung statt – diesmal aus Kostengründen. Aber nicht nur der knappe Etat, auch der Wechsel des Sendetermins vom Ende auf Mitte des Jahres tat der Verleihung nicht gut. Obwohl live und mit Moderator Hape Kerkeling wollten 2002 nur noch drei Millionen Zuschauer die Sendung sehen – zu wenig in Anbetracht des Aufwandes. Da hatte die Konkurrenz aus „Bambi“, „Goldener Kamera“ und „Echo“ in der Publikumsgunst bereits die Nase vorn.
Auch die Trophäe selbst hatte eine wechselvolle Geschichte: Erst sah sie aus wie ein bunter, Europa simulierender Stein, dann erinnerte sie schon sehr figürlich an eine Frau – die Europa? Schöpfer war Herbert Strässer. Schließlich schuf Hans Schröder eine – inzwischen fraulich gereifte – Goldene Europa. Sie wurde bis 2003 verliehen. Da fand das für alle Fans eher enttäuschende Finale statt – zum Glück nicht in Saarbrücken sondern in Bremen. Wieder hatte man ein Vehikel zum Transport des Preises benötigt: Die Goldene Europa wurde im Rahmen des „Festivals des deutschen Schlagers“ verliehen. Die finalen Preisträger waren u. a. Otto und die Puhdys.
Nach dreieinhalb Jahrzehnten wurde „die Mutter aller deutschen Radio- und Fernsehpreise“ danach sang- und klanglos zu Grabe getragen. Lange hatte der verantwortliche Redakteur und Hauptabteilungsleiter Dr. Michael Beckert das schwere Erbe mit großem Engagement mehr als am Leben gehalten – trotz nachlassendem Interesse an TV-Musiksendungen und steigenden Kosten. Schließlich half auch die Unterstützung der Kölner Firma Maxi-Media mit weltweiten Show-Kontakten nicht mehr. Der Preis fand ein jähes trauriges Ende. „Tafelsilber verscherbelt“ hieß es bei vielen treuen Anhängern. Eines seiner „Kinder“ lebte freilich noch weiter: „RSH Gold“. GE-Moderator und Europawellen-Unterhaltungschef Hermann Stümpert (*24. 5.1949 in Pirmasens; † 1. 10. 2005 in Stein bei Kiel) hatte die Idee vom SR mit nach Schleswig-Holstein genommen, wo er der Gründungsprogrammdirektor des landesweiten Privatsenders geworden war.
Geblieben sind im Saarland nach dem Aus der Goldenen Europa schöne Erinnerungen an die Begegnung mit den Topstars der internationalen Unterhaltung, an eindrucksvolle Auftritte von Preisträgern wie Peter Weck, Peter Ustinov, den Scorpions, Simply Red, Thomas Gottschalk, Johnny Logan, Montserrat Caballé, den Bee Gees, Alphaville, Chris de Burgh, Tina Turner, James Last, a-ha, Shakira, Pur, Andrea Bocelli, Genesis, Manfred Krug, Bryan Ferry, Udo Lindenberg, Shirley Bassey, Die Prinzen – um nur einige zu nennen, die die Goldene Europa bekamen. Preisträger Maurice Jarre hatte sie mit den Worten entgegen genommen „schöner als ein Oscar“.
* Dieser Text von Rolf-Dieter Ganz ist als Kooperation mit der SR-Unternehmenskommunikation ähnlich auch im Begleitheft der Fotoausstellung „Goldene Europa, Hallo Twen & SR 1 Unplugged: Der Saarländische Rundfunk als Popkultur-Botschafter“ erschienen. Sie ist Teil des Ausstellungsfestivals „Pictures of Pop – Fotografie in der Popkultur“.
Redaktion für den Arbeitskreis SR-Geschichte: Axel Buchholz (ab); Eva Röder (Gestaltung/Layout); Burkhard Döring (Illustrationen), Sven Müller (Videos und Fernseh-Recherche), Stefanie Reichert (Hörfunk-Recherche)