Fundstück November 2015: Nowottny (Foto: SR)

Wie Friedrich Nowottny den SR zum Wirtschaftssender machte

 

Der kleine Saarländische Rundfunk war immer auch ein gutes Sprungbrett – für einen Karriere-Sprung zu einem größeren Sender. Peter Hahne, Jan Hofer und Dieter Thomas Heck sind Beispiele dafür. Aber nur einem gelang der Sprung bis in die Spitze der größten ARD-Anstalt: Friedrich Nowottny. Er brachte es bis zum Intendanten des Westdeutschen Rundfunks. Dem SR ist Nowottny trotz aller späteren Erfolge heute noch sehr dankbar für „unendlich viele Chancen“. Er nutzte sie so gut, dass der SR als ARD-Wirtschaftssender nach über fünfzig Jahren noch davon profitiert.

Von Axel Buchholz

Die Vorzeichen für Friedrich Nowottnys erstes Bewerbungsgespräch als Leiter der SR-Abteilung „Wirtschaft und Soziales“ im Hörfunk schienen alles andere als gut zu sein. Das war 1962. Gerade mal drei Jahre gehörte das Saarland auch wirtschaftlich wieder zu Deutschland. Bei der Fahrt mit seinem VW-Käfer von Bielefeld nach Saarbrücken verfuhr Nowottny sich und landete versehentlich „auf dem Hinterhof irgendeiner Hütte.“ Was er da sah, empfand er als „so erschreckend“, dass er sofort umdrehen und wieder nach Hause fahren wollte. Er tat’s zwar nicht, dachte aber: „Das wird nie was hier.“

Wurde es aber doch. Schließlich hatte Nowottny in seinen Bewerbungsgesprächen durchaus etwas vorzuweisen. Seit drei Jahren war er bei der Bielefelder Tageszeitung „Freie Presse“ Ressortleiter Wirtschaft. Und das mit einem guten Ruf. Seine tägliche Seite sei kein Fachchinesisch, sondern für ein breites Publikum gut verständlich und interessant, hieß es.

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Christian Winther war Nowottnys Vorgänger als Ressortleiter Wirtschaft und Soziales beim SR (Foto: SR)

Beim SR war Nowottny bereits ein bewährter freier Mitarbeiter in der Wirtschaftsredaktion. Angeworben hatte ihn in Luxemburg Ressortleiter Christian Winther während eines Pressetermins bei der Hohen Behörde der Montanunion. Diese „Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl“ war ein Vorläufer der heutigen EU. Vor seinem Wechsel zum Deutschlandfunk nach Köln hatte Winther dann Nowottny Mut gemacht, sich auf die SR-Stellenanzeige in der überregionalen Presse zu bewerben. Er sah in ihm einen guten Nachfolger für sich.

Das taten nach mehreren Gesprächen auch SR-Intendant Dr. Franz Mai, Hörfunkchefredakteur Wilhelm Diederich und Fernseh-Chefredakteur Karl-Heinz Reintgen. Dazu war Nowottny dann vorsichtshalber mit der Bahn angereist – trotz der acht Stunden Fahrtzeit.

Nowottnys erster Arbeitseinsatz als frisch gebackener Abteilungsleiter Wirtschaft ließ sich gleich vielversprechend an: eine Dienstreise in die Champagne zur Vorbereitung der „Französischen Woche“ der Stadt Saarbrücken, über die auch der Saarländische Rundfunk ausführlich berichtete. Von 1971 bis 1991 veranstaltete der SR dann selbst eine „Französische Woche“ in Hörfunk und Fernsehen.

Sein Credo als Wirtschaftsredakteur hatte Nowottny aus Bielefeld nach Saarbrücken mitgebracht: Die Wirtschaft, damals „noch so eine Art Geheimwissenschaft“, begreifbar machen. „Wirtschaftsberichterstattung muss sich ihr Publikum suchen – und finden“, war seine Überzeugung. Dafür suchte er zuerst die geeigneten Mitarbeiter nicht nur in Deutschland, sondern auch in Brüssel, Paris und an anderen wichtigen Plätzen im Ausland.

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Ein Sender im Aufbruch: Das Fernsehgebäude (dunkles Dach) auf dem Halberg wurde 1964 eingeweiht (Foto: SR)

Das Betriebsklima damals beim SR war ganz nach seinem Geschmack: „Es gab eine ungeheure Motivation.“ Alles sei unkompliziert gegangen damals auf dem Halberg. „Nie wieder in meinem Berufsleben habe ich so wenig unter Verwaltungskram gelitten wie in meiner Zeit beim SR. Es war einfach die Zeit der großen Chancen.“
Wohl die wichtigste Chance bot ihm Fernseh-Chefredakteur Karl-Heinz Reintgen mit dem Angebot, doch auch im regionalen Fernsehen so über Wirtschaft zu berichten. Nun lernte der Printjournalist Nowottny, der beim SR auch Radio-Journalist geworden war, zusätzlich noch die Arbeit fürs Fernsehen. Zuhause vor dem Spiegel übe er das Moderieren, wurde damals im Sender geflachst.

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Fernseh-Chefredakteur Karl-Heinz Reintgen holte den Radio-Mann Nowottny ins SR-Fernsehen (Foto: SR)

Der von Nowottny erbetene Vorschlag auch für eine überregionale Fernseh- Wirtschaftssendung kam beim SR gut an. Ihr Titel war zugleich das Konzept: „Der Markt. Wirtschaft für jedermann“. Geld dafür hatte der stets finanziell auf „Kante genähte“ SR nicht genug. Also mussten Kooperationspartner her. Sie fanden sich mit dem damaligen Südwestfunk (heute SWR) und dem Hessischen Rundfunk. Außerdem musste die Mehrheit der ARD-Sender dem Konzept zustimmen. Dafür begab sich FS-Chefredakteur Reintgen auf Werbetour, offenbar mit viel Verhandlungsgeschick. Zugute gekommen sei ihm dabei, so Nowottny, dass einige andere noch gar nicht begriffen hatten, wie wichtig die Wirtschaft auch für die Fernsehberichterstattung war: „Manche ARD-Hierarchen hatten dafür noch einen begrenzten Blick.“ Vor der entscheidenden Dienstreise habe Reintgen gesagt: „Ich fahr jetzt mal los – und bring die Sendung mit.“ Er brachte sie und der kleine SR durfte machen.

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Umfunktioniert zum FS-Studio: der große Saal im ersten SR-Funkhaus in der Saarbrücker Wartburg (Foto: SR)

Und er machte. Im großen Saal des alten SR-Funkhauses in der „Wartburg“ wurde der Set aufgebaut – für jede Sendung wieder neu. Kulissen transportieren, aufstellen und das „Wirtschaftsstudio“ richtig ausleuchten sei schon aufwändig gewesen, erinnert sich Nowottny.
Am 12. Oktober 1963 ab 17.10 Uhr lief „Der Markt – Wirtschaft für jedermann“ bundesweit zum ersten Mal über die Bildschirme – noch in schwarz-weiß. „Natürlich war ich sehr aufgeregt. Die Zeit für Proben war knapp – ebenso die für Moderationen!“ Einen Teleprompter zum Ablesen gab es noch nicht.
Das erste Wirtschaftsmagazin des deutschen Fernsehens wurde schnell sehr erfolgreich. „Wir hatten einen Zuschaueranteil von 40 %“, sagt Nowottny nicht ohne Stolz. Aber auch nicht, ohne gleich selbstironisch hinzuzufügen, dass das ja möglicherweise auch daran gelegen habe, dass anschließend am späten Samstagnachmittag die „Sportschau“ gesendet wurde.

„Der Markt“ wurde alle zwei Wochen ausgestrahlt. Alle drei Monate wechselten sich die drei Partner mit Redaktion und Moderation ab. Die Beiträge lieferten sie immer wechselseitig zu. 
Mit der Sendung wurde auch Friedrich Nowottny – in den ersten drei Monaten alleiniger Moderator – „als Fernsehgesicht“ bundesweit bekannt. Schon damals zu Beginn seiner Fernsehkarriere sei er als Moderator humorig und ironisch gewesen, ist zu lesen, und vor allem trotz der schwierigen Themen immer verständlich. „Fernsehen baucht Mut zur Vereinfachung – nicht zur Simplifizierung“, ist er überzeugt.
Fragt man Nowottny, ob ihm damals eigentlich bewusst war, dass Ironie in einer Wirtschaftssendung etwas gewagt sein könnte, antwortet er mit der schlichten Feststellung: „Darüber nachzudenken, war keine Zeit.“

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Friedrich Nowottny (r.) interviewt im SR-Studio den Vorstandsvorsitzenden der Saarbergwerke AG Hubertus Rolshoven. (Foto: SR)

Aber nicht nur mit der Sendung „Der Markt“ sind Nowottny und der Saarländische Rundfunk im deutschen Fernsehen innovativ gewesen. Auch die erste Börsensendung kam vom SR. Sie hieß „Wie stehen die Aktien?“ Sie war von Anfang an Bestandteil der „Markt“-Sendung. Zuvor lief sie schon im SR-Regionalprogramm. „Es war einfach die Zeit der Volksaktien“, erklärt Nowottny seine Idee dafür. „Da lag es nahe, dass die Leute auch wissen wollten, wie ihre Aktien stehen“.

Zu Nowottnys Konzept, die Wirtschaft aus der Expertenecke herauszuholen, gehörte im regionalen SR-Fernsehen auch die Reihe „Studio unterwegs“. Es war eine Reportage-Sendung aus saarländischen Betrieben, die mit dem großen Fernseh-Übertragungswagen aufgezeichnet wurde. Mehrere Reporter stellten darin die Betriebe, ihre Produktion, Chefs und Mitarbeiter vor. Ansonsten kamen die Sendungen aus dem „Pferdestall“, einem Provisorium bis zum Bezug des neuen Fernseh-Gebäudes.

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Wirtschaftsberichterstattung aus saarländischen Betrieben mit dem großen Fernseh-Ü-Wagen (Foto: SR)

Auch überregional war Nowottny immer wieder mal als Kommentator zu sehen. „Ich stand auf der allerersten Kommentatoren-Liste der ARD für die Spätausgabe der Tagesschau und sprach den zweiten Kommentar überhaupt“, erinnert er sich. Das Kommentar-Thema drehte sich um die EWG, die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft. Da vermutete man wohl wegen der Nähe Saarbrückens zu Luxemburg im SR eine besondere Kompetenz.

Älteren SR-Mitarbeitern ist Friedrich Nowottny nach wie vor gut in Erinnerung als ein Chef und Kollege, der „wusste, was er wollte – und es auch sagte.“ Und zwar deutlich genug, um Missverständnisse gar nicht erst aufkommen zu lassen. Nach anstrengenden Redaktionstagen oder Fernsehproduktionen allerdings habe man ihn zu einem Feierabendbier im Kollegenkreis nicht lange überreden müssen. Und nicht selten soll er dabei auch ein fröhliches Lied angestimmt haben. Am nächsten Morgen jedoch konnte es passieren, dass er seine Mitarbeiter dann schon vor der Tür erwartete, wenn die es nach einem langen Abend mit Verspätung angehen ließen.

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Achtete auf Disziplin in der Redaktion: Friedrich Nowottny als Chef (Foto: SR)

Dem Autor dieser Zeilen hielt er in einer Redaktionssitzung einmal vier große Tageszeitungen vor die Nase, um zu beweisen, dass er das aktuelle Abendmagazin „Zwischen heute und morgen“ mit dem falschen Thema begonnen habe. Fünfzig Jahre später darauf angesprochen, reagiert er mit von ihm gewohnter Schlagfertigkeit und Ironie: „Das war ungerecht. Ich hätte Ihnen einen Preis für Originalität verleihen müssen.“ 
Auch Nowottny selbst hat so einige anekdotische Erinnerungen an seine Zeit im Saarland. Die Zigarettenmarke „Lasso“ und die Landsieg-Margarine waren damals populär. Und deren Slogan „Mir wisse, was gudd is“ habe jedenfalls auch aufs Grillfleisch zugetroffen: Das beste seines Lebens aß er an der Saar.

Oft habe er mit dem Auto dienstlich in der provisorischen Hauptstadt Bonn zu tun gehabt, was damals ohne Autobahn eine sehr langwierige Fahrt gewesen sei – und im Winter überdies eine abenteuerliche. Mit einem vorsorglich mitgeführten Spaten habe er sich sogar einmal aus Schneeverwehungen wieder ausbuddeln müssen.
In Schweiß geraten sei er auch Mitte Mai 1962 bei einem Interview zum Ende des Bergarbeiterstreiks an der Saar. Dafür standen in der Saarbrücker Staatskanzlei Ministerpräsident Franz-Josef Röder und Saarberg-Chef Prof. Hubert Rolshoven bereit. Nur das Tonbandgerät fehlte. „Ich war am Boden zerstört, der Tontechniker war am Boden zerstört.“ Der hatte es versehentlich nicht mitgenommen. Nowottny schickte ihn zum Sender zurück und versuchte, seine Interviewpartner inzwischen mit Smalltalk hinzuhalten. Das wurde von Minute zu Minute peinlicher. Die Herren hätten schließlich „leicht herablassend auf ihn herunter gesehen – was bei seiner Körpergröße allerdings nicht schwierig“ gewesen sei. Das Interview aber hatte er schließlich dann doch im Kasten.

SR-Fundstücke
Mehr zu Peter Scholl-Latour: „Der Saarländische Rundfunk war mein Heimatsender“
Sein journalistisches Handwerk hat er im Saarland gelernt, ausgeübt hat es der welt-erfahrene Welterklärer fast überall. Kaum ein Land, das Dr. Peter Roman Scholl-Latour (9. März 1924 – 16. August 2014) nicht bereist hätte. Seine familiären und beruflichen Wurzeln im Saarland vergaß der renommierte Journalist und erfolgreiche Sachbuchautor nie.

Ein Kollege beim SR sei damals Dr. Peter Scholl-Latour gewesen, erzählt Nowottny.

Der SR allein hatte aber nicht das Geld gehabt, um Scholl-Latour weiterhin bezahlen zu können. Was tat man? Man „sammelte das Geld in der der ARD“ für einen gemeinsamen Korrespondenten Scholl-Latour, dessen Beiträge andere ARD-Sender ohnehin schon gern übernommen hatten. „Beim SR ging damals alles unkompliziert“, hat Nowottny in Erinnerung. „Der Sender war im Aufbruch.“
Nicht nur beim SR, auch im Saarland hat sich Nowottny sehr wohl gefühlt: „Klein, aber fein.“ Und angenehm menschlich sei es da zugegangen. So habe Ministerpräsident Dr. Franz-Josef Röder öfter mal seine Tochter nachmittags bei den Schularbeiten betreut – an seinem Dienstsitz in der Staatskanzlei. Schließlich sei er zuvor Studienrat gewesen. Die zu einem Info-Gespräch eingeladenen Journalisten mussten eben warten.

So wäre Nowottny, seit 1965 auch stellvertretender Chefredakteur beim SR, sicher noch länger in Saarbrücken geblieben. Wenn da nicht eine gewisse Erika Müggenburg gewesen wäre. Sie sah gern den „Markt“ aus Saarbrücken mit Moderator Friedrich Nowottny. Ihr Mann, Günter Müggenburg, war der Chef des vom WDR produzierten „Bericht(s) aus Bonn“. Und suchte gerade einen neuen Stellvertreter. Den entscheidenden Tipp gab ihm seine Frau: „Sieh Dir doch mal den Nowottny an.“

Am 1. April 1967 begann Friedrich Nowottny dann beim „Bericht aus Bonn“, wurde 1973 dort der Chef und als „Mr. Bonn“ der wohl bekannteste deutsche Politik-Journalist. Ab 1985 leitete er als Intendant des Westdeutschen Rundfunks den größten ARD-Sender.
Dem zweitkleinsten, dem Saarländischen Rundfunk, blieb er stets dankbar: „Ich bin als Print- und Hörfunkmann hingegangen und als Hörfunk- und Fernsehmann weggegangen. Ich habe viel gelernt beim SR.“

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Karin Butenschön moderiert für den SR „Plusminus“, die Nachfolgesendung von „Der Markt“ (Foto: SR)

Und der SR ist mit seiner Beteiligung am Fernseh-Wirtschaftsmagazin „Plusminus“ (das 1975 auf „Der Markt – Wirtschaft für jedermann“ folgte) weiterhin einer der Wirtschaftssender der ARD. Seit mehr als einem halben Jahrhundert.

(Redaktion für den Arbeitskreis SR-Geschichte: Axel Buchholz (ab); Mitarbeit: Jutta Grünewald, Eva Röder (Gestaltung/Layout), Roland Schmitt (Fotos/Recherche) und Hans-Ulrich Wagner.

Der Text basiert auf mehreren Gesprächen des Autors mit Friedrich Nowottny sowie auf Zeitzeugen-Interviews mit ihm, 2006 von Heiner Dahl für den SR und am 26. 8 .2010 von Rainer Burchardt für den DLF. Die Nowottny-Zitate im Text sind autorisiert.)

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