Die durchgängige Verkehrsberichterstattung in ihren Programmen als erste eingeführt zu haben, nehmen so einige Sender für sich in Anspruch. Immer wieder genannt wird die Service-Welle Bayern 3. Sie begann damit aber erst im April 1971. Tatsächlicher Vorreiter in der ARD war die Europawelle Saar.
Von Otto Deppe
Schon 1964 waren vom Saarländischen Rundfunk auf der Europawelle Saar die Voraussetzungen dafür geschaffen worden, die Hörer jederzeit mit „schnellen“ Meldungen informieren zu können. Über weite Strecken des Tages war das bisherige „Kästchenprogramm“ durch live ausgestrahlte Magazin- und Musik-Sendungen ersetzt worden. So konnten sowohl aktuelle Kurzinformationen als „Breaking News“ jederzeit gesendet werden wie eben auch Meldungen zur Verkehrslage. Wenn das Jingle des von Axel Buchholz „erfundenen“ aktuellen Dienstes im Programm ertönte, stellten viele ihr Radio lauter. Sie wussten, dass irgendwo in der Welt etwas Wichtiges passiert war. Und bei den von mir eingeführten aktuellen Verkehrsmeldungen machten das die Autofahrer ebenso.
Es gab zwar bereits vor Einführung der Europawelle Saar Verkehrsmeldungen des Deutschlandfunks in Köln. Er brachte die Verkehrsinformationen der Bundesmeldestelle der Polizei in Düsseldorf allerdings nur jeweils nach den Nachrichten. Sie gaben meist bloß einen zusammenfassenden Überblick über die Verkehrslage. Häufig waren die Meldungen auch nicht mehr aktuell, weil sie ja nur stündlich gesendet wurden. Detaillierte Meldungen konnte der DLF schon wegen seiner Programmstruktur und des großen Sendegebiets gar nicht bringen.
Damals hatten alle Sender eine festgefügte Programmstruktur mit Sendungen, die überwiegend noch vorproduziert waren. Allein Radio Luxemburg war ähnlich strukturiert wie die Europawelle Saar, hatte aber als „Musiksender“ keine ausgeprägte Verkehrsberichterstattung.
Bereits bei ihrem Sendebeginn 1964 gab es auf der Europawelle ab 14.00 Uhr eine Sendung für Autofahrer mit Autotester Paul Güth. Sie hieß „Auf allen Straßen. Autofahrersendung mit aktuellen Kurzmeldungen“. Die Sendezeit betrug zu Anfang zwei Stunden, wurde aber ab August 1964 auf eine Stunde verkürzt.
Vom 2. Januar 1967 an wurde daraus dann das zweistündige Auto- und Reisemagazin „Auf allen Straßen – Mit Musik unterwegs“ (ebenfalls ab 14.00 Uhr). Als Redakteur und Moderator standen mir abwechselnd Jutta Eckler (auch in der Redaktion), Elke Herrmann und Auto-Redakteur Paul Güth als Ko-Moderatoren zur Seite. Ergänzt wurde das Team durch einen Musikmoderator. In den ersten Jahren war das Martin Arnhold, später dann Wolfgang Dorn.
Bei dieser Redaktion war von Anfang an auch die Verkehrsberichterstattung angesiedelt, die wichtige Meldungen der Polizei jederzeit in das laufende Musikprogramm geben konnte und für die Verkehrsmeldungen nach den stündlichen Nachrichten sorgte.
Schwerpunkte der Verkehrsberichterstattung waren der gesamte südwestdeutsche Raum, Hessen und Nordrhein-Westfalen. Dort hatte die Europawelle, die auf der stärksten Mittelwelle in der Bundesrepublik ausgestrahlt wurde, die meisten Hörer in Deutschland. Die Zusammenarbeit mit den verschiedenen Verkehrsleitzentralen der Polizei klappte hervorragend. Das ging soweit, dass in Mainz (für Rheinland-Pfalz) und in Wiesbaden (für Hessen) eigene „Europawelle Saar-Telefone“ installiert wurden, um die Budgets der Polizei nicht zu belasten. Zur Bundesmeldestelle der Polizei in Düsseldorf gab es eine eigene Fernschreib-Verbindung.
Ende der Sechziger richtete der ADAC in München ein eigenes Radio-Verkehrsstudio ein, das in einer täglichen Schalte mit der Europawelle eine gesamtdeutsche Verkehrsprognose gab. Verbunden war dies mit Tipps für die Autofahrer. In den Anfangsjahren kam es auch zu anderen bundesweit beachteten Verkehrs-Aktionen der Europawelle Saar. In Kooperation mit Luftsportvereinen und dem ADAC Gau Pfalz waren an stauverdächtigen Tagen regelmäßig mehrere Flugzeuge als Verkehrsbeobachter unterwegs. Deren Piloten gaben aktuelle Meldungen z. B. vom Frankfurter Kreuz, dem Großraum Stuttgart oder dem Großraum Köln nach Saarbrücken durch.
Zu Ostern, Pfingsten oder vor Beginn der Sommerferien stellte der Reifenhersteller Pirelli bis zu 50 Fahrzeuge mit Autotelefon (damals noch etwas Besonderes) zur Verfügung. Deren Fahrer berichteten annähernd rund um die Uhr über die aktuelle Verkehrslage in Ballungsgebieten.
Während der ersten Ölkrise 1973 wurde eine Aktion „Spritsparen mit der Europawelle Saar“ ins Leben gerufen. Die dafür in der ersten Serie hergestellten 25.000 Autoaufkleber waren in wenigen Tagen vergriffen und trugen zum Image der Europawelle Saar in ganz Deutschland bei.
Zu der Zeit kam auch vom damaligen Programmdirektor Karl-Heinz Reintgen die Anregung, rund um die Uhr eine Verkehrsmelderedaktion einzurichten, die im Drei-Schicht-Betrieb arbeiten sollte. Das Problem war, wie so etwas bezahlt werden konnte. Die von mir vorgeschlagene Lösung hieß: Einsatz von Studenten, die pro Woche drei Schichten „fahren“ durften. Es war also ein erheblicher Personaleinsatz erforderlich, der für den Sender aber preiswert war und den beteiligten Studenten das Studium mitfinanzierte. Am Anfang gab es pro Schicht 60 D-Mark, was auf den Monat gerechnet rund 700 DM ausmachte. Für die damalige Zeit gar nicht so schlecht.
Zur Zeit der Einführung dieser besonderen Verkehrsredaktion spielten Suchmeldungen für Autofahrer und Touristen eine besondere Rolle. Handys waren noch nicht erfunden und Telefonverbindungen übers Festnetz ins Ausland oft schwer zustande zu bringen. Geschäfts- und Urlaubsreisen mit dem Auto boomten damals. Also bestand bei wichtigen Ereignissen großer Bedarf, die Reisenden zu erreichen. Da konnte die EuropawelIe oft helfen, die mit ihrer besonders abends großen Reichweite in vielen Ferienländern zu empfangen war. In der Ferienzeit konnten es pro Stunde bis zu zehn Meldungen sein, hinter denen sich meist ein tragisches Ereignis verbarg, wie der ADAC herausfand.
Da sich unter den gesuchten Personen besonders viele Niederländer befanden, habe ich als Moderator einen Schnellkurs bei der damaligen Fernsehkollegin Lydia van den Berg gemacht, um die Meldungen in Holländisch verlesen zu können. Den Grundtext habe ich übrigens heute noch drauf. Elke Herrmann verlas in „Urlaub mit Musik“ neben Urlaubsgrüßen regelmäßig auch Suchmeldungen. Für ihre einstündige Sendung, die in Ferienzeiten vor Mitternacht ausgestrahlt wurde, bekam sie allein zwischen Sommer 1968 und Winter 1973 17.000 Zuschriften aus 118 Ländern. Unter den regelmäßigen Hörern waren auch Stasi-Mitarbeiter der DDR. Viele DDR-Bürger nutzten nämlich ihre Ferien im „sozialistischen Ausland“, um unter Umgehung der DDR-Postzensur ihre West-Verwandten zu grüßen. Dabei wählten sie zur Lage in der DDR manchmal deutliche Worte.
Mehr als nur Urlaubsgrüße waren auch ansonsten viele Hörerbriefe an Elke Herrmann – wie dieser, von dem die SR-Info vom Juli 1973 berichtete:
„Nicht alle Zuschriften erreichten sie auf so abenteuerliche Weise wie der Brief einer jungen Krankenschwester aus Bremen. Sie wurde auf dem Weg zum Postamt von einem Auto angefahren, mußte sich im Krankenhaus von diesem Schreck erholen, verliebte sich dabei in den behandelnden Arzt und verlobte sich mit ihm, um dann endlich verspätet den Brief einzuwerfen mit der Randbemerkung: ,Schuld an meinem Glück trägt auch oder wohl am meisten die Europawelle Saar, bei der ich mich ganz herzliche bedanken möchte …‘“
Mit dem Aufkommen ähnlich strukturierter und technisch besser zu empfangender UKW-Programme der anderen Sender verlor das Mittelwellen-Programm der Europawelle nach und nach seine bundesweite Akzeptanz und Bedeutung. So beschränkte sich die Verkehrsberichterstattung mehr und mehr auf das Saarland und die angrenzenden Gebiete. Als der SR aber als erster ARD-Sender damit begann, war sie in weiten Teilen Deutschlands eines der Markenzeichen der Europawelle Saar.
Redaktion für den Arbeitskreis SR-Geschichte: Axel Buchholz (ab); Mitarbeit: Eva Röder (Gestaltung/Layout) und Roland Schmitt (Fotos/Recherche)