Roland Helm (Foto: Ruppenthal)

Roland Helm: Als erster SR-Juniorkorrespondent in Washington

 

Einmal als Auslandskorrespondent zu arbeiten – das ist der Wunschtraum vieler junger Journalisten. Und der kann auch beim SR in Erfüllung gehen. Obwohl er als zweitkleinste ARD-Rundfunkanstalt seit jeher äußerst sparsam wirtschaften muss, ist der SR an einem Platz ständig mit einem eigenen Korrespondenten vertreten: in Paris, denn die Frankreich-Berichterstattung gehört zu den Kernaufgaben des Senders an der deutsch-französischen Grenze.

Erstaunlich dagegen, dass SR-Korrespondenten seit über drei Jahrzehnten ebenfalls regelmäßig aus Washington berichten. Auch auf SR-Initiative hin wurde im dortigen Studio die Stelle eines  „Juniorkorrespondenten“ geschaffen. Sie wird im Wechsel mit anderen kleinen ARD-Anstalten besetzt. Der erste, den der SR an den Potomac River schickte, war Roland Helm.

Von Roland Helm       

Easyrider-Schnurrbart, Hippie-Haare, ein langer Ledermantel vom Flohmarkt und meine heiß geliebte Western-Gitarre – so kam ich Anfang 1983 in Washington an. Mein einziger Koffer war noch nicht richtig ausgepackt, da war ich schon in der Stadt unterwegs. Auf der Suche nach einem guten Mexikaner, der bald auch zu meinem Lieblingsrestaurant avancierte. Abends ging’s dann gleich in einen der angesagtesten Jazzclubs. Es begann meine Zeit als Juniorkorrespondent in der amerikanischen Hauptstadt, vom 1.Januar 1983 bis zum 31.März 1984. Ich werde sie nie vergessen.

Es war mein zweiter Aufenthalt in den USA, seit ich nach dem Abitur 1969/70 in West Palm Beach, Florida, zunächst die High School und dann das Junior College besucht hatte.

Beim SR war ich kurz vor Ende meines Studiums der Volkswirtschaft im September 1979 freier Mitarbeiter geworden. Im Aktuellen Dienst bei Elke Herrmann lernte ich rasch ein paar Grundlagen des Radiomachens. Unser Team war dafür zuständig, im laufenden Programm sofort zu berichten, wenn etwas besonders Wichtiges geschehen war. Mit diesen „Breaking News“, wie sie im amerikanischen Journalismus genannt werden, war der SR damals Vorreiter in der ARD. Außerdem lieferte der „Aktuelle Dienst“ den Nachrichten O-Töne zu, die wir meist von Korrespondenten oder aus dem Fernsehen besorgten.

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Elke Herrmann und Otto Deppe: Bei ihnen lernte Roland Helm den Radio-Journalismus. (Foto: F. Hartung)

Schon ein Jahr später wechselte ich ins „Journal am Nachmittag“, in die Redaktion von Otto Deppe, der für Reise, Service und Auto zuständig war. Deppe war es auch, der mich ursprünglich fürs Radio „entdeckt“ hatte. Von meinem Vater (langjähriger Pressechef bei SAARBERG) wusste er, dass ich als Student in Asien, Afrika und Lateinamerika viel auf Reisen war. Zweimal hatte er mich deshalb nach solch einem Abenteuer-Trip zum Interview eingeladen. Ihm gefielen – wie er mir später sagte – meine Art zu erzählen ebenso wie meine Stimme. Schnell avancierte ich 1981/82 auch deshalb im „Journal am Nachmittag“ zum Moderator und konnte zudem weitere Erfahrungen in der „Kunst“ des Interviews wie auch als Reporter sammeln.

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Die achtziger Jahre: in Deutschland Zeit heißer Nachrüstungsdebatten und Demos. (Foto: R. Helm)

So vorbereitet, ohnehin vom Reisevirus infiziert und mit reichlich jugendlichem Selbstvertrauen ausgestattet, bewarb ich mich dann 1982 um die Stelle des „Juniorkorrespondenten“ in Washington. Heute gibt es dort ein gemeinsames ARD-Studio. Damals hatten sich in der Hauptstadt der USA die Sender zu mehreren „Gruppenstudios“ zusammengeschlossen. Einen „Juniorkorrespondenten“ gab es aber nur im Studio der HR-Gruppe. Ihr gehörten außerdem der BR, Radio Bremen, der SR und die damaligen Sender SFB (heute Teil des rbb) und SDR (heute Teil des SWR) an. Studioleiter (und einziger Korrespondent) war Ulrich Schiller. Beim SR war ich als Interessent für den Junior im fraglichen Jahr ohne Konkurrenz, da ich dank meines Jahres in Florida das beste Englisch sprach. Aber auch die Bewerber der anderen Sender hatten wegen meines „Vorsprungs“ in „American English“ keine Chance.

So flog ich dann also nach Washington, der zweite „Junior“ überhaupt nach Ingolf Karnahl vom damaligen SFB. Viele sind inzwischen gefolgt. Ich zog in ein schönes, möbliertes Einzimmerapartment im historischen Stadtteil Georgetown, das mir das Studio besorgt hatte. Gleich eröffnete ich ein Konto (ohne das geht’s in den USA kaum) und machte mich am ersten Werktag sofort an die Arbeit. Mein Englisch war aus der Collegezeit noch immer so, dass ich neben Alltagsgesprächen auch allen Infos und Interviews in Radio und Fernsehen bestens folgen konnte. Auch die tägliche Pflichtlektüre der Zeitungen erwies sich als völlig problemlos.

Ulrich Schiller, mein Chef, war ein erfahrener Auslandskorrespondent mit Stationen in Moskau und Hongkong und etwa doppelt so alt wie ich mit meinen Anfang Dreißig. Wir verstanden uns prima und siezten uns höflich, er war ein fairer Partner und Boss. Die Arbeit teilten wir uns so gut es ging, und bald war ich in fast allen Themen ausreichend sattelfest. Neben Schiller gab es noch eine Sekretärin und eine Tontechnikerin, beides deutsche Ladies, die aber längst nicht mehr nach Hause wollten.

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Das „Weiße Haus“ in Washington: Roland Helm – auch als Korrespondent öfter davor als drin. (Foto: R. Helm)

Meine Arbeit begann am Morgen ungewohnt früh: Gleich nach dem Aufstehen meist kurz vor sechs schaltete ich das Frühstücks-Fernsehen ein. Da gab es Sendungen, wie man sie damals in Deutschland noch nicht kannte. Für mich waren sie unverzichtbare und schnelle Quellen der Information. Meist war ich so mit den wichtigsten Themen in wenigen Minuten auf dem Laufenden. Gelegentlich klingelte zwischendurch das Telefon: Ein Sender aus Deutschland wollte ein Korrespondenten-Gespräch für sein Mittagsmagazin. Danach oder gleichzeitig: Frühstück, gegen halb acht Uhr Treff im Studio. Es lag nicht in Washington D. C., sondern außerhalb der amerikanischen Hauptstadt in Arlington, also bereits in Virginia. Dort gab es genügend Büroraum, da die Hochhäuser außerhalb Washingtons höher sein durften als das Capitol – das in der Hauptstadt selbst das traditionell höchste Gebäude ist.

Nach der Lektüre der Tageszeitungen ein kurzes Telefonat mit dem diensthabenden Politikredakteur des Hessischen Rundfunks, der für die sechs Sender der HR-Gruppe „koordinierte“. Anschließend entschied Ulrich Schiller, welche Beiträge oder Kommentare wir an diesem Tag schreiben würden. Meist waren es zwei, gelegentlich auch mehr.

Auf Schreibmaschinen (ohne PCs, man erinnert sich!) texteten wir dann ca. anderthalb Stunden, um die Stücke rasch aufzunehmen, damit sie von Versprechern gesäubert um 11:15 Uhr über eine verstärkte Telefonleitung nach Frankfurt überspielt werden konnten. Von dort gingen sie per Leitung an die anderen Sender, denen die Themen rechtzeitig vorher per Fernschreiben (man erinnert sich!) angekündigt worden waren. Selten waren bei diesen täglichen Berichten O-Töne dabei, denn wir hatten kaum Zeit, auf Pressekonferenzen zu gehen, es gab (man erinnert sich auch hier!) noch kein Internet. Und Politiker-Statements aus dem Fernsehen zu kopieren, war damals noch nicht üblich.

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Roland Helm als Korrespondent in Washington: mehr am Telefon im Büro als bei Recherchen vor Ort. (Foto: SR)

So endete mein Washingtoner Vormittag im Hochhausbüro in Arlington meist gegen Mittag. Ich holte schon mal was zu essen vom Vietnamesen im Parterre, wenn ich noch im Büro weiter arbeiten wollte oder musste. Meist allerdings verließ ich um die Mittagszeit das Büro und lief zu Fuß über die Brücke zurück nach Georgetown, um dort zu Hause oder in einem der zahlreichen Restaurants etwas zu essen. Der Nachmittag war „Freizeit“, denn spätestens ab 19:00 Uhr Washingtoner Zeit musste ich vor dem Fernseher sitzen, um analog zu unserer „Tageschau“ die wichtigen News-Shows der „Majors“ CBS, NBC und/oder ABC zu sehen. CNN hatte zwar schon 1980 seinen Betrieb aufgenommen, war in seiner Infodichte aber noch lange nicht mit späteren Glanzzeiten zu vergleichen.

Im Auto hörte ich zur Information den Radiosender WTOP, der Nonstop Nachrichten brachte, die Schlagzeilen alle 15 Minuten aktualisierte. Für mich damals eine unerwartete und zunehmend unersetzliche Quelle der Aktualität. Selbst wenn es nur „Breaking News“ waren oder das Wichtigste an der Oberfläche: Als Radio-Korrespondent musste ich ja schnell über sehr viele Themen Bescheid wissen.

Wichtig noch, um die Washingtoner Arbeit zu verstehen, ist die Zeitverschiebung. Wir in den USA lagen sechs Stunden gegenüber Deutschland zurück. D. h. wenn ich am Morgen um sechs aufstand, war es in Saarbrücken oder Frankfurt schon zwölf Uhr mittags und damit Zeit für die in den 80er Jahren wichtigen Mittagsmagazine.

War es zwölf Uhr Mittag in den USA, dann war es in Deutschland schon 18:00 Uhr, Zeit für die Tageszusammenfassungen der Sender. Deshalb überspielten wir auch unser tägliches „Angebot“ um 11:15 Uhr Washingtoner Zeit, 17:15 Uhr in Deutschland, damit die angeschlossenen Sender genug Zeit hatten, die Stücke zu hören und nach Belieben zu schneiden oder zu kürzen und dann ab 18:00 Uhr deutscher Zeit auf Antenne zu bringen.

Am „Feierabend“, der meist kein richtiger wurde, war Alkohol ziemlich tabu. Denn erstens musste ich morgens früh raus und möglichst gleich top-fit sein. Und zweitens rief gegen Mitternacht noch so mancher Kollege aus Deutschland an, denn dort war schon früher Morgen und damit die Zeit der Morgenmagazine. Es war schließlich die Blütezeit der informationsreichen Magazinsendungen im deutschen Radio.  

 (Foto: SR)
Mit Journalisten im „Weißen Haus“ – auch für Roland Helm und deutsche Korrespondenten-Kollegen damals ein seltenes „Vergnügen“. (Foto: R. Helm)

Das war der Alltag Montag bis Freitag. Wochenende war „dienstfrei“ – im Prinzip. Denn auch ohne dass wir damals Handys hatten (man erinnert sich!), waren wir doch irgendwie immer im Dienst. Auch Samstag und Sonntag passierte in den USA irgendwo etwas Wichtiges, eine interessante Fernsehsendung war anzusehen und die wichtigen (und wuchtigen!) Sonntagszeitungen waren Pflichtlektüre.

Aus einem dieser sonntäglichen Zeitungsbrocken hatte ich auch das Thema AIDS gefischt, was damals gerade begann ein Thema zu werden. Wir schreiben das Jahr 1983! Als ich dann am darauffolgenden Montag in Saarbrücken in der Redaktion anrief, meinte die Kollegin, „kein Thema mehr, dazu hatten wir gerade 3‘30“ letzte Woche.“ Selten bekamen wir Aufträge für längere Stücke, was aber auch daran lag, dass kaum jemand zehn oder gar dreißig Minuten von einem Korrespondenten per Telefon Vorgelesenes anhören mochte.

Zu Presseterminen raus in die „Stadt“ kam ich auch selten, denn Enttäuschung hin oder her, ich hatte schnell begriffen, dass man als Korrespondent meist der fixe Wiederkäuer der aktuellen Nachrichtenlage ist, (damals) per Telefon aus Übersee übermittelt und damit für den Hörer nah am Geschehen. Heute Thema Nr. 1) morgen Nr. 2) usw. und damit im Einsatz wie im Hamsterrad kaum in der Lage, selber zu recherchieren.

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Der amerikanische Presseausweis von Roland Helm (Foto: SR)

Vor-Ort-Recherche war mir außerhalb Washingtons insgesamt viermal vergönnt. Noch in den ersten Januartagen 1983, kaum dass ich angekommen war, schickte mich Ulrich Schiller nach Detroit, weil es dort im bitterkalten Winter in der darniederliegenden ehemaligen Auto-Metropole immer mehr Suppenküchen gab. Aus meinem Hotelzimmer heraus berichtete ich darüber per Telefon in die ganze ARD. Nach New Orleans fuhr ich ein Wochenende im Sommer 1983 zu einem Kongress der NAACP, der wichtigen Bürgerrechtsorganisation der Schwarzen.

Und auf die Karibikinsel Grenada folgte ich in einer vollbesetzten Transportmaschine neben schwerbewaffneten US-Marines den Spuren der US-Army. Die hatte auf Befehl des damaligen US-Präsidenten Ronald Reagan auf der Suche nach vermeintlichen Kommunisten die winzig kleine Republik überfallen. Dort kriegte ich auch mal ausschnittsweise mit, wie erfahrene amerikanische Kriegsreporter arbeiten.

Den amerikanischen Präsidenten bekam ich meist nur im Fernsehen zu sehen und hatte nur ein einziges Mal das Vergnügen, ihm im legendären Presseraum des Weißen Hauses mit einem Abstand von rund 20 Metern gegenüber zu stehen. Als deutscher Reporter bist du ohnehin in der Hackordnung ziemlich weit hinter den Stars der US-Networks und Zeitungen. Immerhin waren wir im gleichen Raum! So nah kam ich dem amerikanischen Präsidenten dann nur noch ein zweites Mal, als ich ihm mit der Washingtoner Pressemeute in seinem Flugzeug „Airforce One“ in den Vorwahlkampf zur zweiten Amtszeit nach Iowa folgte.

 (Foto: SR)
Roland Helm: als Moderator von SR 1 Europawelle Saar oft am Mikrofon. (Foto: Götzinger/Röder)

Selbst wenn ich in Washington, auch dank Zeitverschiebung, quasi sieben Tage die Woche im Dienst war, habe ich dennoch die knapp anderthalb Jahre privat sehr genossen. Dabei insgesamt viel über Amerika gelernt und mein American English weiter verbessert. Von beidem habe ich in meiner Arbeit beim Saarländischen Rundfunk in den Jahren und Jahrzehnten danach immer wieder profitiert.
Nach meiner Zeit in Washington, zurück in Saarbrücken, wurde dann auch in Deutschland die Politik-Berichterstattung mein Arbeitsgebiet. Axel Buchholz holte mich in sein Moderatoren-Team für das „Journal am Morgen“ und das „Abendmagazin mit Berichten aus Politik, Wirtschaft und Zeitgeschehen“.

(Redaktion für den Arbeitskreis SR-Geschichte: Axel Buchholz (ab); Mitarbeit: Eva Röder und Roland Schmitt)

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