Warnung auf der Rückseite einer Rundfunk-Gebührenquittung 1944 (Foto: SR)

Saarländische „Rundfunkverbrecher“ waren oft Handwerker und Bergleute

 

Wie verfolgte die nationalsozialistische Justiz so genannte Rundfunkverbrecher? Was weiß man über diese Hörer von „Feindsendern“? Antworten auf diese Fragen geben auch die noch erhaltenen saarländischen Prozessakten. Verallgemeinernde Schlüsse sind allein daraus aber nicht möglich. Dazu sind es zu wenige. Ergänzend können allerdings wissenschaftliche Arbeiten, eine amerikanische Befragung und andere Quellen herangezogen werden.

Von Albrecht Pendt und Axel Buchholz

So hat der Rundfunk-Historiker Dr. Ansgar Diller im Informationsdienst „Rundfunk und Geschichte“ (24. Jahrgang, Nr.1, Januar 1998) über eine Befragung berichtet, die die Amerikaner schon vor Kriegsende in Deutschland durchgeführt hatten. Sie erfolgte bereits Ende April/Anfang Mai in den drei nordhessischen Mittelstädten Marburg, Hersfeld und Eschwege und kann laut Diller „durchaus repräsentativen Charakter beanspruchen.“

Wie die Justiz damals Strafverfolgung betrieb, wird schnell deutlich, wenn man diese Akten gegen „Rundfunkverbrecher“ durchsieht, was für dieses „Fundstück“ zum großen Teil geschehen ist. Repräsentative verallgemeinernde Schlüsse sind aus der daraus getroffenen Auswahl von wenigen Beispielsfällen natürlich nicht möglich. Zum Vergleich können aber Arbeiten von Wissenschaftlern und allgemein gültige Aussagen über das Hören von „Feindsendern“ im „Dritten Reich“ herangezogen werden. So hat der Rundfunk-Historiker Dr. Ansgar Diller im Informationsdienst „Rundfunk und Geschichte“ (24. Jahrgang, Nr.1, Januar 1998) über eine Befragung berichtet, die die Amerikaner schon vor Kriegsende in Deutschland durchgeführt hatten. Sie erfolgte bereits Ende April/Anfang Mai in den drei nordhessischen Mittelstädten Marburg, Hersfeld und Eschwege und kann laut Diller „durchaus repräsentativen Charakter beanspruchen.“

Wie viele Saarländer überhaupt „Feindsender“ hörten, darüber sagen die Gerichtsakten natürlich nichts. Die US-Untersuchung ergab allerdings, dass in den drei Städten 51 % der Befragten erklärten, dies getan zu haben. Die häufig in den saarländischen Beispielsfällen als Begründung für die verhängten Strafen genannte „Abschreckung“ zeigt überdeutlich, dass die deutschen Machthaber auch wussten, dass es jedenfalls sehr viele waren. Später wurden sie sich sogar ihrer Ohnmacht gegen die „Rundfunkverbrecher“ bewusst: „Wir sind gar nicht in der Lage, alle zu bestrafen, die gehört haben,“ stellte Reichsführer SS und Polizeichef Heinrich Himmler fest (G. Reitlinger, Die SS. Tragödie einer deutschen Epoche, zitiert nach Willi A. Boelcke, „Die Macht des Radios“, Ullstein, 1977, S. 455). Er musste es wissen. Die ihm unterstehende Geheime Staatspolizei ermittelte gegen die „Rundfunkverbrecher“.

Der Archivar und Historiker Michael P. Hensle schreibt denn auch in seiner Arbeit über die Hörer von „Feindsendern“ in Berlin und Freiburg: „Bei der Mehrheit aller aktenkundig gewordenen Abhörer begnügte sich die Gestapo mit so genannten staatspolizeilichen Maßnahmen oder unternahm nichts.“ Die „polizeilichen Maßnahmen“ seien in der Regel Verwarnung oder befristete Polizeihaft gewesen  („Rundfunkverbrechen. Das Hören von ,Feindsendernʻ im Nationalsozialismus“, Michael P. Hensle, 2003, alle Zitate S. 346).

SR-Fundstücke: Greene zu BBC-Philosophie
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SR-Fundstücke: Greene zu BBC-Philosophie
Der Leiter des deutschsprachigen BBC-Nachrichtendienstes Hugh Carlton Greene zur Philosophie des Senders. O-Ton aus einem Greene-Porträt von Frank Johannsen. (Foto: Deutsches Rundfunkarchiv; Quelle Audio: SR-Sendung „Medienwelt spezial“ vom 27. 9. 1998, eine Koproduktion mit RBB-Radio Eins und der BBC, SR-Archivnummer 0300750).

Als Strafe wurde in den saarländischen Beispielsfällen Zuchthaus von zwei bis zu sechs Jahren verhängt. Mit einer Gefängnisstrafe kamen nur ein Student davon und einige Mitangeklagte. Nach den in der Zeitschrift „Rundfunkarchiv“ veröffentlichten offiziellen Zahlen bei einer Auswahl von Abschreckungsurteilen errechnete Willi A. Boelcke (a.a.O., S. 454) für 1942 durchschnittlich 3 ¼ Jahre und für 1942 etwas mehr als vier Jahre Zuchthaus. Zum Tode verurteilt wurde im Bereich des saarländischen Sondergerichts nach den bislang gesichteten Akten keiner der angeklagten „Rundfunkverbrecher“. „Reichsweite“ Zahlen dazu scheint es nicht zu geben.

Wie viele Saarländer und Pfälzer vom zuständigen Sondergericht als Rundfunkverbrecher verurteilt wurden, ist nicht bekannt. In den Vierteljahresheften für Zeitgeschichte (Oktober 1963, C. F. Latour: „Goebbels', Außerordentliche Rundfunkmaßnahmen 1939 – 1942“) sind allerdings Verurteilungszahlen für das gesamte Reich zu finden:
1939: 36 (Fälle) – 1940: 830 – 1941: 721 – 1942: 985  – 1943: 878.
Einige der im Saarland Verurteilten stellten nach dem Krieg als „politisch Geschädigte“ einen Antrag auf finanzielle Entschädigung. Der Völklinger Stadtarchivar fand darüber Akten – allerdings ohne die Bescheide. 

Warum „Feindsender“ gehört wurden, geht aus den Urteilsgründen der saarländischen Beispielsfälle nur hier und da eher beiläufig hervor. Sie waren von Anfang an sehr kurz und enthielten keinerlei Beweiswürdigung wie das in Urteilen eigentlich selbstverständlich ist. Gegen Kriegsende wurden die Urteile noch nichtssagender.

Dennoch wird in einer Urteilsbegründung zum Beispiel eingeräumt, dass die eigenen deutschen Nachrichten über den Kriegsverlauf manchmal knapp seien, wenn natürlich auch immer richtig. Im Umkehrschluss wird klar, dass die propagandistisch-beschönigende Information des Reichssenders nicht als ausreichend oder wahr empfunden wurde. Der „Nachrichtenhunger“ (Michael P. Hensle), die Suche nach wahren und auch schnellen Informationen besonders über die Lage an den Fronten war wohl das wichtigste Motiv.

Wer „Feindsender“ hörte, konnte aber auch über die Konzentrationslager informiert sein, so wie der katholische Pfarrer Janson aus Lambrecht/Pfalz. Er erzählte sogar Gemeindemitgliedern davon, denen er vertraute. So erfuhr es auch Gunda K. in ihrem Elternhaus, wo der Pfarrer öfter zu Besuch war. Sie meint, dass der Pfarrer sein Wissen zusätzlich auch von deutschen Offizieren hatte, die bei ihm im Pfarrhaus auf der Durchreise übernachteten, berichtete deren Tochter, die dem SR lange als Hörerin verbundene Rosemarie P.

SR-Fundstücke: Stefan Heym im Interview
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SR-Fundstücke: Stefan Heym im Interview
Der Schriftseller Peter Heym erzählte drei Jahre vor dem Mauerfall SR-Reporterin Silvia Hudalla in Ostberlin von seiner Arbeit als Sergeant (Unteroffizier) der US-Armee für den „Freien Sender Luxemburg“.

In manchen saarländischen Urteilen wird auf eine Mitgliedschaft des Verurteilten in der SPD oder auf eine frühere marxistische Einstellung hingewiesen. Hier dürfte die politische Grundhaltung also das (oder ein) Motiv für das Hören von „Feindsendern“ gewesen sein. Von der US-Umfrage wird das statistisch relevant unterstützt: Anhänger von früheren Linksparteien waren in größerer Anzahl unter den „Feindsender“-Hörern.
Nach der verlorenen Schlacht von Stalingrad kam Anfang 1943 noch ein weiterer Grund hinzu. Über einhunderttausend Soldaten der deutschen und verbündeter Armeen kamen in Kriegsgefangenschaft. Und Radio Moskau brachte regelmäßig Namen von vermissten deutschen Kriegsgefangenen oder sogar deren Stimmen. Das wurde unter den sehnsüchtig auf Nachrichten wartenden deutschen Angehörigen bekannt.
Der Schriftseller Peter Heym erzählte drei Jahre vor dem Mauerfall SR-Reporterin Silvia Hudalla in Ostberlin von seiner Arbeit als Sergeant (Unteroffizier) der US-Armee für den „Freien Sender Luxemburg“ - zum Anhören bitte auf das Bild klicken.

Die saarländische Schriftstellerin Maria Croon hörte „Feindsender“, um ihren Sohn in Russland zu finden. (Foto: privat) (Foto: SR)
Die saarländische Schriftstellerin Maria Croon hörte „Feindsender“, um ihren Sohn in Russland zu finden. (Foto: privat)
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In ihrem 1960 erschienenen Roman „Die köstliche Mühsal“ griff auch die saarländische Schriftstellerin Maria Croon dieses Thema auf. Der Enkel der Romanheldin Susanne, der Soldat Johannes, war bei Stalingrad in Kriegsgefangenschaft geraten. Seine Tante unternimmt daraufhin alles Mögliche, um ihn aufzuspüren und hört auch „Feindsender“. Eine Anzeige bei der Gestapo war die Folge. Diese Handlung war nicht erfunden. In Wirklichkeit war Maria Croons Sohn Helmut der Kriegsgefangene in Russland.
Und diejenigen, die nicht selbst Radio Moskau hörten, wurden nicht selten durch anonyme Briefe darauf aufmerksam gemacht, dass der Name ihres Angehörigen genannt worden war. Der Heizer Albert Jacob wurde am 17. Juli 1944 im Zuchthaus Brandenburg-Gorden mit dem Fallbeil wegen eines solchen Briefes hingerichtet. Er hatte Radio Moskau abgehört, die genannten Namen mitgeschrieben und einer Mutter dann mitgeteilt, dass ihr Sohn noch am Leben sei – und das mit vollem Absender (Willi A. Boelcke, a. a. O., S. 455).

Von Beruf waren in den saarländischen Beispielsfällen die Verurteilten vor allem Bergleute und Handwerker wie Ankerwickler, Werkzeugmacher, Former und Autospengler. Nur ein Student ist dabei und ein Oberregierungsrat und Landeskulturrat. Das könnte kein Zufall sein. Denn Michael P. Hensle schreibt in seiner Arbeit über die Hörer von „Feindsendern“ in Berlin und Freiburg Ähnliches. Der typische Beschuldigte habe „den unteren Schichten“ angehört.
Bei der US-Untersuchung ergab sich für das gesamte „Reich“ allerdings das Gegenteil: Mehr „Feindsender“-Hörer gab es unter den höher Gebildeten, etwa Freiberuflern und Studenten.
Männer waren in den saarländischen Beispielsfällen zahlreicher vertreten als Frauen, die – wenn überhaupt – dann meist als Ehefrauen zu finden sind. Das war auch in der US-Untersuchung der Fall und wurde auch von auch von Hensle so herausgefunden. 

Frédéric Billmann: erst beim „Feindsender“ Straßburg, dann  französischer Generaldirektor bei Radio Saarbrücken (Foto: SR/zum Vergrößern bitte anklicken).

Welche „Feindsender“ gehört wurden, hing natürlich auch sehr davon ab, in welcher Qualität sie überhaupt zu empfangen waren. In den saarländischen Urteilen wurden als abgehörte „Feindsender“ genannt: die BBC, „Londoner Sender“, Radio Beromünster und Radio Straßburg (sendete bis Juni 1940). Der dortige Leiter des deutschsprachigen Nachrichtendienstes war bis 1939 der Journalist Frédéric Billmann. Beim französisch dominierten Nachkriegssender Radio Saarbrücken wurde er ab Oktober 1948 dann Generaldirektor.  

Stefan Heyms Produktionen beim „Freien Sender Luxemburg“ erschienen 1986 als Buch bei Bertelsmann.

Bei der US-Untersuchung in Hessen lag der „Freie Sender Luxemburg“ mit
48 % vorn, der allerdings erst nach der Befreiung Luxemburgs im September ab Anfang Oktober 1944 unter US-Aufsicht sendete. Er war das offizielle Sprachrohr des Alliierten Hauptquartiers. Leiter waren als US-Soldaten der spätere bundesdeutsche Journalist Hans Habe und als sein Stellvertreter der dann in der DDR lebende Schriftsteller Stefan Heym.
Knapp hinter Luxemburg lagen die BBC (British Broadcasting Company)  und „andere Londoner Sender“ (zusammen 41 %). Leiter des deutschsprachigen BBC-Nachrichtendienstes war als Offizier der britischen Armee der Journalist Hugh Carlton Greene. Er organisierte ab 1946 als journalistischer Leiter den Aufbau des damaligen Nordwestdeutschen Rundfunks (NWDR, heute NDR und WDR). Später wurde er Generaldirektor der BBC.   

Thomas Mann (Foto: dpa/zum Vergrößern bitte anklicken).
 (Foto: SR)

Der im kalifornischen Exil lebende Schriftsteller Thomas Mann sprach regelmäßig persönlich über die BBC. Die Kurzansprachen von Thomas Mann begannen stets mit „Deutsche Hörer“.

„Solange Hitler und sein Brandstifterregime
 bestehen, werdet ihr keinen Frieden haben,
 unter keinen Umständen.“

(Thomas Mann über den „Feindsender“ BBC an seine Hörer in Deutschland)

An dritter Stelle folgte der Soldatensender West mit 23 %. Dieser britische Sender hieß zuvor mit einem Programm für die deutsche Marine und die Wehrmacht „G. 9“ und danach „Soldatensender Calais“.
Schweizer Sender allgemein und Radio Beromünster zusammen erreichten 13 %. „Radio Beromünster“ war der öffentlich-rechtliche Landessender der neutralen Schweiz. Radio Moskau kam auf 4% und „französische Sender allgemein“ auf ein Prozent.

Das strikte Verbot, „Feindsender“ zu hören, war allerdings nur die eine Seite der deutschen Propaganda-Politik im Äther. Die andere war, dass das NS-Regime selbst seine Feinde nach besten Kräften mit Rundfunk-Propaganda beschallte. Und während die ersten Saarländer 1939 oder 1940 als „Rundfunkverbrecher“ abgeurteilt wurden, verdiente sich der Gründungsintendant des Reichssenders Saarbrücken, Dr. Adolf Raskin, inzwischen in Berlin höchste Meriten als Radio-Propagandist und organisierte deutsche „Feindsender“ fürs Ausland – deren Empfang in England z. B. nie verboten wurde.

*Albrecht Pendt war von 2007 bis 2011 Generalstaatsanwalt bei der Generalstaatsanwaltschaft für die Pfalz in Zweibrücken. Er schrieb über engagierte Protestanten und deren Verhalten im Nationalsozialismus. Pendt wuchs in Homburg auf und war ein Fan von „Hallo Twen“ mit Manfred Sexauer.

(Redaktion für den Arbeitskreis SR-Geschichte: Axel Buchholz (ab); Mitarbeit: Michael Fürsattel, Eva Röder, Roland Schmitt)

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