Ein Stahlarbeiter (Foto: Lars Ohlinger / SR)

"Echtes Leben": "Kein Recht mehr auf Arbeit"

"Stahlkocher, Kumpel, Klimafeind?"

  30.09.2020 | 11:46 Uhr

Schwierige Zeiten für Beschäftigte in der Stahlindustrie und im Tagebau: Durch die Transformation der Industrie verlieren jetzt Tausende nicht nur Arbeitsplatz und berufliche Existenz, sondern auch gesellschaftliche Wertschätzung und ein Stück ihrer Identität. Was macht es mit Menschen, wenn sie mit ihrem bisherigen Lebenskonzept vor dem Aus stehen? Dieser und weiteren Fragen geht Lars Ohlinger in seinem FIlm "Kein Recht mehr auf Arbeit" nach. Zu sehen am Sonntag, 11. Oktober, um 17.30 Uhr, im Ersten.

100 Stahlarbeiter haben sich im vergangenen Februar vom saarländischen Dillingen zu Fuß auf den Weg zur EU-Kommission nach Brüssel gemacht: Thomas H. war einer von ihnen. Der "Walk of Steel" wollte auf die prekäre Lage der Branche aufmerksam machen. Schon damals war klar, dass in der saarländischen Stahlindustrie 1500 Jobs wegfallen sollen. Dann kam Corona. Für den 52-Jährigen bedeutet das Kurzarbeit und noch mehr Unsicherheit im Blick auf seine berufliche Zukunft. Thomas H. ist davon überzeugt, dass es enorm wichtig wäre, die Stahlproduktion in Deutschland zu halten. Aber die Industriekunden bestellen zu wenig und Klimaauflagen sind teuer.

Ralph K. hat viel Verständnis für die Aktionen der Stahlarbeiter. Seit 2018 hat der 50-Jährige mit seinen Kollegen für den Erhalt der Jobs beim Saarbrücker Autozulieferer "Halberg Guss" gekämpft: mit Zugeständnissen der Belegschaft und monatelangen Streiks. 1500 Menschen waren bei "Halberg Guss" damit beschäftigt, Motorblöcke herzustellen. Dann kam die Insolvenz und im Sommer 2020 die endgültige Schließung des fast 300 Jahre alten Unternehmens. Ralph K. macht dafür Missmanagement, den Drang zur Elektromobilität und verunsicherte Kunden verantwortlich. Aber auch in Corona-Zeiten will er die Hoffnung nicht aufgeben, doch noch einen neuen Job zu finden.  

Verlust von Identität

Durch ein Wechselbad der Gefühle ist Klaus E. in den vergangenen Jahren gegangen. Seit 35 Jahren arbeitet der 51-Jährige im Tagebau Garzweiler und muss wie seine Kollegen und Freunde mit dem Hass auf den Braunkohleabbau umgehen. Ihm machen die Drohungen der Kohlegegner sehr zu schaffen: hat er doch nach eigenem Empfinden lange und hart für den wirtschaftlichen Aufschwung in Deutschland gearbeitet. Auf das Kohleausstiegsgesetz setzt Klaus E. keine persönliche Hoffnung. Er befürchtet den Niedergang der ganzen Region und den Verlust vieler Arbeitsplätze.

Stahlkocher und Kumpel waren früher traditionsreiche, gut bezahlte und hochangesehene Berufe. Durch die Transformation der Industrie verlieren jetzt Tausende nicht nur Arbeitsplatz und berufliche Existenz, sondern auch gesellschaftliche Wertschätzung und ein Stück ihrer Identität. Sie verlieren ihr von der katholischen Soziallehre und der UN-Menschenrechtscharta postuliertes "Recht auf Arbeit" und damit auch ein Stück weit ihre Würde. Was macht es mit Menschen, wenn sie mit ihrem bisherigen Lebenskonzept vor dem Aus stehen? Was kann ihnen noch Halt geben, gerade auch in Zeiten von Covid 19?


Ein Film von Lars Ohlinger (SR).

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