Heinrich Kalbfuss (Foto: Oettinger)

Heinrich Kalbfuss: Balanceakt bei Radio Saarbrücken und dem SR

 

Im Saarland hat Heinrich Kalbfuss einen klangvollen Namen. Nach wie vor wird er hoch geschätzt – vor allem als erster und langjähriger Moderator der SR-Sendung „Fragen an den Autor“. Dabei begann Kalbfuss seine journalistische Tätigkeit bereits mehr als zwanzig Jahre zuvor bei Radio Saarbrücken. Auch als Autor von Büchern und Fernsehfeatures erwarb sich Kalbfuss später einen guten Ruf.

Von Heinrich Kalbfuss

Ich fühle mich heute mit immerhin knapp 90 Jahren (geb. am 15. Januar 1927 in Trier) im Hinblick auf den SR als relativ gut erhaltenes Fossil. Schon seit 1948 schickte ich als mittelloser Student aus Bonn Manuskripte an „Radio Saarbrücken“ und finanzierte mit den bescheidenen Honoraren manches Mittagessen. 1950 aber, immer noch Student, heiratete ich in Saarbrücken und wurde „freier Mitarbeiter“, zunächst als Lektor in der Hörspielabteilung von A. C. Weiland, dann bei Wilm ten Haaf – für mich als Literatur- und Theaterfan eine überaus herausfordernde und faszinierende Tätigkeit.

Irgendwie erregte ich die Aufmerksamkeit von Hans Bernhard Schiff (damals in der „Franzosenzeit“ des Saarlands nannte er sich Jean Bernard Schiff), der bis 1956 die literarischen Sendungen betreute. Mit ihm verbinden sich vor allem zwei Erinnerungen. Zunächst die an seine umfangreiche, schier unerschöpfliche Eigenproduktion von Sendemanuskripten. Seine Sekretärin, umgeben von Papierbergen, schien mir pausenlos mit dem Abtippen seiner Texte beschäftigt.

H.B. Schiff (Foto: H. Kalbfuss)
Hans Bernhard Schiff, seit 1948 Literaturredakteur von „Radio Saarbrücken“, war lange Vorsitzender des Landesverbandes Saar des Verbandes deutscher Schriftsteller.

Eines Tages fragte mich Schiff völlig überraschend, ob ich bereit wäre, so etwas wie einen Jugend- und Kinderfunk aufzubauen. Nein, ich verspürte dazu keine Lust. Ich war gerade Vater geworden und fühlte mich überfordert. Außerdem hatte ich keine Ahnung vom Rundfunk und sagte es auch. „Macht nichts“, meinte Schiff, „andere hier haben auch keine Ahnung, die kriegst Du durchs Machen!“ Ich ließ mich also ab 1. Januar 1952 auf eine Festanstellung ein. Fortan betreute ich wöchentlich drei Halbstundensendungen für die Jugend. Wenig später kam der „Kinderfunk“ dazu, zuerst mit Käthe Glaser (die schon vor 1945 beim Reichssender Saarbrücken den Kinderfunk geleitet hatte), dann ab 1954 mit ‚Tante Christa‘ (Christa Frischkorn) und dem „Märchenonkel“ Werner Jacobi. Später wurde ich dann auch für den Schulfunk verantwortlich, den es bis dahin im Saarland noch nicht gab.

Zu meiner eigenen Überraschung entstanden – nicht zuletzt mit Hilfe von Übernahmen anderer Sender – passable Programme. Im Übrigen aber war ich jedoch zunächst ziemlich ahnungslos, was jedoch offenbar damals nicht auffiel.

Das erste Buch des Kinderfunk-Redakteurs Kalbfuss war ein Kinderbuch (Deutsche Verlagsgesellschaft, Stuttgart, 1954).

Unter dem Pseudonym Heinz Knipper erschien 1954 von mir das Kinderbuch „Vollgas mit 5 PS“ (mein erstes Buch von inzwischen mehr als einem Dutzend/zum Vergrößern auf das Bild klicken).
In der leichtfertigen Überzeugung, schon hinreichend gelernt zu haben, schrieb ich dann bereits 1955 das Rundfunkbuch „Ruhe Sendung“ (Union Verlag) – zur Vorsicht ebenfalls unter dem Pseudonym Heinz Knipper. Das ist der Name meines Großvaters mütterlicherseits (der immerhin „Branddirektor“ von Saarbrücken war). Das Buch wurde mehr als 10 000mal verkauft.
Der Jugendfunk wurde überwiegend aufgezeichnet und bestand wesentlich aus Gesprächen und Reportagen. Für die Aufzeichnung gab es drei Motive: manchmal Bequemlichkeit, vorwiegend aber Notwendigkeit bei Berichten über „Events“ irgendwo im Land, nicht zuletzt aber, um dem durchaus wahrnehmbaren Misstrauen von Sendeleitung und Generaldirektion zu begegnen. Die Aufzeichnung erst rettete mich vor Sanktionen. So konnte ich nämlich beweisen, was wirklich gesendet worden war und mich verteidigen, wenn ich „oben“ angeschwärzt würde, was gelegentlich geschah.

Wie Radiomachen von mehr als sechzig Jahren war: Cover des Kalbfuss-Buchs „Ruhe Sendung“ (zum Vergrößern bitte anklicken)

Eine „Philosophie“ hatten wir für den Jugendfunk nicht, aber durchaus Absichten. Grundsatz meiner Redaktion war: Nicht über junge Menschen sprechen, sondern vorwiegend mit ihnen. Es ging um unterschiedliche Erfahrungen und daraus resultierende Lebenseinstellungen sowie Zukunftsplanungen, kritische Meinungen über Erziehung, Umwelt, Politik, soziales Engagement, Beruf, Mädchen, Erwachsene usw.

Meine beiden Redaktionsräume befanden sich in einer Baracke im Hof. Im Funkhaus, in der alten „Wartburg“ selbst, gab es nicht genügend Büros. Das Haus erwies sich als zu eng. Für mich war das Grund oder Vorwand genug, Autorenbesprechungen in eine benachbarte Konditorei zu verlegen.

Heinrich Konietzny, eigentlich Fagottist des Rundfunkorchesters, trug mit seinen vielfältigen Auftragskompositionen zum Erfolg auch meiner Sendungen bei. In Erinnerung blieb mir vor allem seine Erkennungsmelodie unserer „Hochschul-Diskussionsrunde“.
Das politische Klima im damals „separaten“ Saarland war einerseits geprägt von einer unter vielen Aspekten bornierten Saarregierung und andrerseits gleichzeitig einer mir sehr sympathischen kulturellen Liberalität bei den Franzosen auf dem Halberg, wo Gilbert Grandval zuerst als „Hoher Kommissar, dann als französischer Botschafter residierte.

Hochschuldiskussionsrunde (Foto: H. Kalbfuss)
Die „Hochschulrunde“ in einem Studio des Funkhauses „Wartburg“. Ganz rechts am einfachen Holztisch Moderator Heinrich Kalbfuss. Aufgenommen wird noch mit alten „Flaschen“-Mikrofonen.

Die regierungsnahe Leitung von Radio Saarbrücken achtete sehr auf politische „Correctness“, was objektive Berichterstattung gerade auch über Meinungen und Stimmungen von Jugendlichen nicht gerade erleichterte. Erste Erfahrungen mit dem politischen Klima damals im Saarland hatte ich schon früh als „freier Mitarbeiter“ von Radio Saarbrücken gemacht. Als studentischer „Kulturreferent“ der Uni zeigte ich dort sowjetische Meisterfilme (wie „Panzerkreuzer Potemkin“ u. a.) aus der Pariser Cinémathèque française. Daraufhin schrieb eine in Saarbrücken erscheinende Zeitung über „kommunistische Umtriebe an der Universität“.

Den in jener Zeit geforderten Balanceakt habe ich einigermaßen bestanden. Während der schwierigen politischen Situation im Saarland half mir mein Engagement in der liberalen deutsch-französischen Studentenverbindung „AGA“ („Allgemeine Studentengemeinschaft für Internationalen Austausch“; auf Französisch: Assoçiation Générale d'Amitié Étudiantines). Sie stand der französischen Saar-Politik nahe und bemühte sich um den Studentenaustausch zwischen Frankreich und Deutschland. In der Anfangszeit war Peter Scholl-Latour der Leiter. Enge Kontakte gab es zur Saar-Universität unter ihrem Gründungsrektor, dem französischen Germanisten Joseph-François Angelloz.

Jo Hoffmann (Foto: Union Stiftung)
Balanceakt von Heinrich Kalbfuss zwischen Saarregierung (hier Ministerpräsident Johannes Hoffmann (Christliche Volkspartei, CVP) …
Gilbert Grandval (Foto: Landesarchiv Pressefoto Actuelle)
… und der französischen Protektoratsmacht. Hier Frankreichs Botschafter im Saarland Gilbert Grandval.

Das Profil von Radio Saarbrücken oder später des Saarländischen Rundfunks prägten damals Namen, die heute fast vergessen sind. Beliebt waren u. a. die sonntäglichen Wartburg-Konzerte mit klug kommentierenden Einführungen des Chefdirigenten Dr. Rudolf Michl, das geistvolle Kabarett von und oft mit A. C. Weiland, die pfiffigen Dialektbeiträge des Ehepaars Weißenbach, von Ferdi Welter und Viktor Lenz – all dies unter der Ägide des damaligen Programmdirektors Dr. Alexander Schum. Wir Redakteure mussten uns mehrmals in der Woche in seinem Dienstzimmer einfinden und uns seiner scharfen, wenn auch meist zutreffenden Kritik stellen.

Frederic Billmann (Foto: Christa Adomeit)
Der französische Intendant von „Radio Saarbrücken“ Frédéric Billman

Ich blieb auch gern und ohne politische Vorbehalte, obwohl es ja anders gekommen war, als ich es für richtig gehalten hatte. Schon in der Übergangszeit begann ich dann (mit weitgehender Unterstützung des Kulturministeriums) beim Saarländischen Rundfunk nach dem Jugendfunk auch noch den „Schulfunk“ aufzubauen. Es war der zweite Versuch, nachdem der erste von 1953 gescheitert war. Die erste Sendung lief am 3. September 1956.

Beim SR als Mitarbeiter „ausgestiegen“ bin ich gleich zweimal. Das erste Mal 1963. Was veranlasste mich dazu, nach so langer Zeit? – Meine mangelnde Bereitschaft zu Kompromissen. Das war der Grund, meine Festanstellung als Abteilungsleiter beim SR leichtfertig zu kündigen. Intendant Dr. Mai hatte eine nach seiner Meinung zu „unkritische“ Schulfunksendung über Cuba beanstandet, die ich u. a. nach Sartres Reiseberichten zusammenstellte. Einen 45-minütigen Fernsehfilm über „Amerikaner in Deutschland“ empfand er dagegen als „unzumutbar kritisch“ und redigierte ihn persönlich um – worauf ich meine Nennung als Autor untersagte.

Die Schulfunk-Broschüren sollten die Lehrer bei ihrer Unterrichtsplanung unterstützen. Sie erschienen regelmäßig in einer Auflage von rund 3000 Exemplaren. (Zum Vergrößern bitte Anklicken)

In meinem Büro auf dem Halberg hing ein großer Nachdruck von Picassos „Guernica“, ein anklagendes Bild nach der Zerstörung der spanischen Stadt durch Luftangriffe von Hitlers „Legion Condor“. Dr. Mai empfand es in meinem Büro unpassend, ja „provokant“. Mit 18 Jahren, nach zweijähriger Leidenszeit als „Luftwaffenhelfer“, hatte ich an der Westfront eine Lehre fürs Leben bekommen. Am Karfreitag 1945 zerfetzte mir ein amerikanischer Granatsplitter das Gesicht. Erst nach mehr als 15 Operationen während zwei Lazarettjahren war ich wieder in der Lage, feste Nahrung zu mir zu nehmen und endlich einigermaßen zu sprechen. Im Gegensatz zu Dutzenden meiner Schulfreunde und abertausend Gleichaltriger konnte ich aber den mörderischen Krieg überleben. Die Konsequenz ist meine Ablehung jeder kriegerischen Auseinandersetzung als Bankrotterklärung der menschlichen Vernunft, es sei denn, ein Kampf diene bei feindlichen Angriffen der Verteidigung der Freiheit. Ein Symbol dafür war und ist mir Picassos „Guernica“.

Franz Mai (Foto: Landesarchiv/Presse Photo Aktuell)
Hatten Probleme miteinander: SR-Intendant Dr. Franz Mai (hier im Bild) und sein linksorientierter Abteilungsleiter Heinrich Kalbfuss.

Meinen Besuch (als Leiter der Abteilung „Jugendfunk“) bei den Weltjugendfestspielen in Moskau, übrigens auf eigene Kosten, hielt Intendant Mai für unvereinbar mit meiner Position, worauf ich ihm sinngemäß erwiderte, ich hielte nun meine zensierte Mitarbeit beim Saarländischen Rundfunk für unvereinbar mit meiner Verantwortung für ein kritisches Programm.

Als nun wieder freier (!) Mitarbeiter blieb ich zwar dem SR treu, arbeitete aber als Autor von Reportagen, Fernseh-Features und Dokumentationen vorwiegend in der DDR, in Russland und Lateinamerika auch viel für andere deutsche Sender wie etwa den WDR und den BR.

Am 5. Januar 1969 begann die Sendereihe „Fragen an den Autor“ mit mir als erstem Moderator. So wurde dann das Studio der Europawelle Saar dreißig Jahre lang mein allsonntäglicher Arbeitsplatz. Der Hörfunk hatte mich wieder.

Ab 24. Oktober kam meine zweite Dialogsendung „Saarbrücken 6 62 32“ hinzu, ebenfalls im Programm der Europawelle Saar. Es war eine telefonische Beratungssendung für Menschen mit persönlichen Problemen. Sie wurde zur InitiaIzündung für eine Telefonseelsorge im Großraum Saarbrücken. Als Moderator und redaktioneller Mitarbeiter dieser Sendung hatte ich viel mit Psychologen und den psychischen Problemen der Anrufer zu tun.

Das Buch „Lebenskonflikte in der Leistungsgesellschaft“ schrieb Heinrich Kalbfuss 1973 als Zwischenbilanz der SR-Sendereihe „Saarbrücken 6 62 32“. (Zum Vergrößern bitte Anklicken)

Durch diese Sendereihe „Saarbrücken 6 62 32“ verstärkte sich in mir das Gefühl, mich (noch einmal) intensiv mit den Themen meines Studiums „Psychologie“ beschäftigen zu sollen. Parallel zum Journalismus begann ich eine mehrjährige, analytisch orientierte Ausbildung zum Therapeuten für psychosomatische Erkrankungen in Stuttgart. Eine gute Grundlage dafür war das Psychologie-Studium, das ich nach Kriegsende in Bonn und Saarbrücken begonnen hatte.

Nach dem Abschluss der Ausbildung und der staatlichen Überprüfung als Heilpraktiker eröffnete ich dann 1976 in Saarbrücken eine Praxis für psychologische und psychosomatische Erkrankungen. Mehr als dreißig Jahre lang wurde sie mein zweites berufliches Standbein und bot mir 1999 auch die Chance einer zweiten und nun endgültigen „Kündigung“ beim SR. Wieder wollte ich mich nicht auf inhaltliche Kompromisse einlassen, diesmal als Moderator der Sendung „Fragen an den Autor“.

Im Übrigen war für mich der Zeitpunkt nun reif, alle beruflichen Abhängigkeiten im Journalismus endlich aufzugeben und mich auch intensiver meinem Hund, meiner Familie und dem Bücherschreiben zu widmen. 

Trotz kurz vor dem 90. Geburtstag naheliegender Idealisierung der Vergangenheit: Ich erinnere mich gern an meine langen, wechselhaften, doch immer interessanten Jahre beim SR. Denn was meine rund fünfzigjährige Tätigkeit für Funk und Fernsehen betrifft: „Non, je ne regrette rien!“

Redaktion für den Arbeitskreis SR-Geschichte: Axel Buchholz (ab); Mitarbeit: Eva Röder (Gestaltung/Layout), Roland Schmitt (Fotos und Recherche)

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