Peter Scholl-Latour (l.) bei einer Konferenz (Foto: SR)

Peter Scholl-Latours Fernseh-Karriere begann beim SR

 

Seine großartige Fernseh-Karriere in der ARD und beim ZDF begann Peter Scholl-Latour (9. 3. 1924 – 16. 8. 2014) beim Saarländischen Rundfunk. Am 1. Januar 1961 wurde er im Alter von 36 Jahren Afrika-Korrespondenten sämtlicher ARD-Sender – und zwar für Hörfunk und Fernsehen. Das verdankte er dem SR, seinem „Heimatsender“. Der hatte ihn als Korrespondent in die ARD eingebracht und betreute ihn als „Federführer“.

Von Axel Buchholz

Zuvor schon hatte Scholl das Radio-Machen ebenfalls beim SR gelernt, wohl bereits ab 1956. „Durch den Hörfunk hatte ich meinen journalistischen Durchbruch“, schrieb er in seiner Autobiographie (2015). Seinen ersten Fernseh-Auftrag bekam er dann 1960 – ebenfalls beim SR. Sein erster Film allerdings wurde nie gesendet.

Heute noch hat die Fernsehcutterin Christl Ohnesorg die Ängste vor ihrer ersten langen Produktion gut im Gedächtnis. Und den kleinen Schneideraum im „Pferdestall“, dem provisorischen Sitz des SR-Fernsehens. Es war gerade im Aufbau und in einem früheren Wirtschaftsgebäude von Schloss Halberg untergebracht.

Pferdestall (Foto: SR/C. Ohnesorg)
In einem ehemaligen Pferdestall begann das SR-Fernsehen – und die Fernsehkarriere von Dr. Peter Scholl-Latour.

Im November 1960 stand er plötzlich vor ihr. Der damals schon vom Radio bekannte Korrespondent Dr. Peter Scholl-Latour. Er hatte mit ihrem Freund und späteren Ehemann Fred Ohnesorg (Kamera) und Helmut Scheuer (Ton) in der Demokratischen Republik Kongo (später Zaire) gedreht. Es ging um die Situation der gerade unabhängig gewordenen ehemaligen belgischen Kolonie, in der ein Bürgerkrieg aufgeflammt war. Aus dem Film-Material sollte in drei Wochen eine lange Dokumentation geschnitten werden. Vorsorglich warnte Christl Ohnesorg: „Ich habe sowas noch nie gemacht.“ Peter Scholl-Latour antwortete spontan: „Ich auch nicht … und jetzt fangen wir gemeinsam an.“

Christl Ohnesorg (Foto: privat)
Christl Ohnesorg war die Cutterin von Scholl-Latours erstem Fernseh-Film.

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Der erste Scholl-Latour-Film ist im SR-Archiv nur als (technisch noch nicht perfekte) Null-Kopie erhalten. Er hieß: „Kongo. Fehlgeburt einer Republik“. Trotz aller Befürchtungen von Christl Ohnesorg war er recht gut gelungen. Gesendet wurde er trotzdem nie. Woran das lag, hat die Cutterin bei heftigen Diskussionen im Schneideraum mitgehört. Der Text war schuld. Er erregte teilweise das Missfallen des ersten SR-Intendanten Dr. Franz Mai. Und es lag am journalistischen Selbstbewusstsein von Scholl-Latour, der die gewünschten Änderungen beharrlich ablehnte.

SR Fundstücke: Scholl-Latour als Korrespondent für „Nah-Ost und Afrika“
Video
SR Fundstücke: Scholl-Latour als Korrespondent für „Nah-Ost und Afrika“
Ausschnitt aus dem SR-Film von Peter Scholl-Latour „Kongo – Fehlgeburt einer Republik“ (1960). Kamera: Fred Ohnesorg, Ton: Helmut Scheuer, Schnitt: Christl Becker (Ohnesorg).

Mai störte sich an dem Satz, dass „die Nähmaschine … Afrika gründlicher erobert (habe) als das Kreuz des Christentums, wie selbst Missionare sagen“. Auch die Kritik am Verhalten der ehemaligen belgischen Kolonialherren und deren angeblicher „flämischen Wohlanständigkeit“ wollte er nicht durchgehen lassen. Die Bilder einer stillenden, barbusigen Frau hielt Mai für nicht jugendfrei.

Christel Ohnesorg erinnert sich an alles ganz genau: „Da bin ich mir absolut sicher“. Sie war damals nämlich sehr enttäuscht, dass der erste von ihr geschnittene und so spannende Film nie gezeigt wurde. Aber auch unabhängig davon verstand sie die Position ihres obersten Chefs nicht.

Pressekonferenz mit Kasavubu (Foto: SR)
Peter Scholl-Latour (3. v. l.) 1960 bei einer Pressekonferenz von Kongo-Staatspräsident Joseph Kasavubu in Léopoldville (heute: Kinshasa).

Dr. Peter Scholl-Latour war von alldem nichts mehr im Gedächtnis geblieben. Nach 53 randvollen Fernsehjahren vom Autor dieses Textes 2013 dazu befragt, sagte er: „Wissen Sie, ich habe seither so viele Filme gemacht und das war bestimmt nicht mein bedeutendster.“ Und mit Dr. Mai („Ein sehr guter Intendant“) habe er sich immer bestens verstanden. Den soll er damals auch aus dem Kongo mit dem Vorschlag angerufen haben, ihm doch ein Team für ein Fernseh-Feature zu schicken.

Fred Ohnesorg (Foto: SR)
War der SR-Kameramann bei Scholl-Latours erstem Fernseh-Film: Fred Ohnesorg.

Dass Fred Ohnesorg und Helmut Scheuer dafür ausgewählt und „von heute auf morgen“ auf die Reise geschickt wurden, war kein Zufall. Erstens gab es kaum Auswahl in den Pioniertagen des SR-Fernsehens und zweitens hatte sich Ohnesorg bereits als Kameramann für den filmenden Abenteurer Heinz „Rox“ Schulz in Südamerika bewährt. Scheuer war der geniale „Bastler“ unter den Tontechnikern des SR und damals eigentlich ein Radiomann. Im Kongo lief er zu großer Form auf. Zum Beispiel als für Innenaufnahmen in einer Hütte dringend Licht gebraucht wurde. Da baute er kurzerhand zwei Autoscheinwerfer aus. Sie taten’s offenbar auch.

Helmut Scheuer bei Tonaufnahmen (Foto: SR)
SR-Tontechniker Helmut Scheuer (l.) bei Aufnahmen im Kongo.

Elfenbeinfigur (Foto: SR)
Eine Elfenbeinfigur erinnert an den Kongo-Film. Im Film ist zu sehen, wie sie geschnitzt wurde.

Schellackplatte Kongo (Foto: SR)
Auch im Film zu hören: „Revolutionsmusik“ aus der gerade selbständig gewordenen „Demokratischen Republik Kongo“.

Von Scholl-Latour waren beide sehr angetan. Ein guter Team-Arbeiter sei er gewesen mit „viel Empathie für die Leidenden“. Zudem einer, der sich auskannte und „alle Türen öffnen konnte“. Christl Ohnesorg denkt immer wieder mal an ihren Film mit Scholl-Latour und das, was ihr über die Dreharbeiten erzählt wurde. In ihrem Wohnzimmer erinnert sie eine kleine Elfenbein-Figur daran. Im Film ist zu sehen, wie sie geschnitzt wird. Ein Souvenir, das Fred sich 1960 aus dem Kongo mitbrachte. In ihrem Musikschrank bewahrt sie noch drei Schallplatten mit „Revolutionsmusik“ auf, die auch im Film verwendet wurde.

Der erste gesendete und erhaltene Fernseh-Beitrag in dem Peter Scholl-Latour zu sehen ist, stammt aus dem Jahr 1961. Das fand SR-Fernseh-Dokumentar Hans-Ulrich Wagner mit einer Cross-Recherche in allen ARD-Fernseharchiven heraus. Da war Schollam Sonderbericht des Deutschen Fernsehens über den Eichmann-Prozess in Jerusalem als Kommentator aus Léopoldville/Kongo (seit 1966: Kinshasa) beteiligt. Sein Thema war die Reaktion in Afrika auf den Prozess gegen den SS-Obersturmbannführer, der während des Nationalsozialismus für die Organisation der Vertreibung und Deportation von Millionen von Juden verantwortlich war. Die Sendung hieß „Eine Epoche vor Gericht“ und wurde vom NDR am 20. April 1961 nach der Tagesschau ausgestrahlt. Im selben Jahr hat Scholl-Latour am 17. Dezember ebenfalls beim NDR an einer Ausgabe des Polit-Magazins „Panorama“ als „Berichterstatter“ mitgearbeitet, wie es in den Datensätzen des NDR heißt. Aus dem Jahre 1962 ist nach den Recherchen von Wagner nichts Filmisches von oder mit ihm überliefert.

Scholl-Latour mit König Kalambo (Foto: SR)
Peter Scholl-Latour, hier wohl mit König Kalambo vom Stamm der Lunda (Kassai-District).

Am 17. November 1963 lief dann von Peter Scholl-Latour im Nachmittagsprogramm der ARD der SR-Film „Robert Schuman – Europäer von Geburt“. Der Lothringer Robert Schuman, ehemaliger französischer Ministerpräsident und Außenminister, war am 4. September 1963 gestorben.

Nach Hans-Ulrich Wagners Recherche-Ergebnissen ist dies „mit knapp dreißig Minuten der erste selbst konzipierte und auch gesendete Film von Scholl-Latour.“ Die Produktion des Saarländischen Rundfunksist im SR-Fernseharchiv erhalten. Sie wurde seither mehrmals wiederholt und ist auch auf YouTube zu finden.

Seine Tätigkeit als ARD-Afrika-Korrespondent für Hörfunk und Fernsehen unter der Federführung des SR mit Sitz in Léopoldville (Kinshasa) und Brazzaville/Kongo hatte Scholl-Latour nach gut zwei Jahren bereits beendet. Am 1. Februar 1963 war er ARD-Frankreich-Korrespondent geworden. Die Federführung für ihn in der ARD war damit vom SR auf den WDR übergegangen. Scholls neuer Dienstsitz war fortan Paris, wo er damit begann, das neue Studio des WDR aufzubauen.

Robert Schuman - Europäer von Geburt (Foto: SR)
Einer der „Architekten“ Europas: Der französische Ministerpräsident Robert Schuman, ein geborener Lothringer.

Scholl-Latour im Park von Versailles (Foto: SR)
Peter Scholl-Latour während seiner Zeit als ARD-Fernseh-Korrespondent in Paris, hier im Schlosspark Versailles.

Conrad Dawo (Foto: SR/R. Oettinger)
Assistierte Scholl-Latour beim Schuman-Film: Conrad Dawo, später beim SR u. a. Leiter des „Aktuellen Berichts“.

Siegfried Baumann (Foto: SR/R. Oettinger)
Siegfried Baumann war Scholl-Latours SR-Kameramann beim Film „Robert Schuman – Europäer von Geburt“.

Dort im Studio, in einer Seitenstraße der Champs Élysées traf ihn auch der SR-Mitarbeiter Conrad Dawo. Er hatte den Auftrag, den schon sehr bekannten Scholl-Latour als Realisator bei seinem Schuman-Feature zu assistieren. Dawo war beim SR später Leiter des „Aktuellen Berichts“ und wurde danach für die politischen Fernseh-Features (Dokumentation) verantwortlich. Damals arbeitete Dawo als Nachwuchsjournalist gerade mal ein Jahr beim SR-Fernsehen. Deshalb hatte er bei dem Auftrag etwas „Bammel“. Er empfand ihn als Vertrauensbeweis und Herausforderung zugleich. Die Zusammenarbeit mit Scholl-Latour im Herbst 1963 wurde dann aber „sehr gut und komplikationslos“, erinnert er sich heute. Scholl habe sich im Umgang mit dem Saarbrücker Team (Kamera: Siegfried Baumann, SR; Schnitt: Evelyn Seifert, WDR, Paris) überhaupt nicht „von oben herab“ gegeben. Ja er, der junge Fernsehreporter, bewundert ihn geradezu, als er bei den Dreharbeiten „mal so kurz zwischendurch“ am Telefon ein Radio-Interview gegeben habe: Völlig frei gesprochen und ohne eine einzige Notiz. „Da fiel mir doch die Kinnlade runter“, hat Dawo noch mehr als fünfzig Jahre später gut in Erinnerung.

SR-Kameramann Siegfried Baumann fällt auch heute noch sofort Scholls damalige Arbeitsmethode ein: „Große Teile des Textes standen schon vorher fest. Dazu mussten dann die passenden Bilder gefunden werden.“ Dieses beim deutschen Fernsehen unübliche Vorgehen hing, vermutet Baumann, damit zusammen, dass Scholl-Latour damals noch von seiner Arbeit für Zeitungen und fürs Radio geprägt war. „Etwas Angst“ aber hat bei diesem Film nur Conrad Dawo empfunden. Und das auch nur einmal. Da hatte ihn Scholl-Latour nach dem Dreh von Paris nach Saarbrücken mitgenommen. In dessen Porsche.

Peter Scholl-Latours besondere Art zu sprechen war wohl einzigartig im deutschen Radio und Fernsehen. Er näselte und nuschelte zugleich – manchmal eine kleine Herausforderung für die Zuhörer. Dass er seinen ersten, den Kongo-Film 1960 selbst sprechen könnte, war wohl nie ein Thema. Es war damals einfach noch nicht üblich, dass Feature-Autoren ihre Texte auch sprechen. Den Schuman-Film drei Jahre später hat er dann allerdings selbst synchronisiert. Da war sein Sprech-Stil durch den Hörfunk längst zu seinem „Markenzeichen“ geworden. So wie es bei Peter von Zahn (NWDR/WDR), dem „Reporter der Windrose“, schon zuvor gewesen war. 

Manchmal lieferte der SR Beiträge von Scholl-Latour auch in die „Report“-Sendung zu, die der damalige Südwestfunk (heute SWR) für die ARD gestaltete. So auch im Mai 1967, als Scholl den Schah (Herrscher) von Persien, Mohammad Reza Pahlavi, im Teheraner Golestanpalast exklusiv interviewte. Das beim SR archivierte Interview fand kurz vor dem Schah-Staatsbesuch in der Bundesrepublik und in Westberlin statt. In Berlin kam es dabei dann zu heftigen Auseinandersetzungen zwischen demonstrierenden deutschen Studenten sowie oppositionellen Exil-Iranern und der Polizei. Sie führten mit zur Radikalisierung der deutschen Studentenbewegung.

Scholl-Latour interviewt Schah Reza Pahlavi (Foto: SR)
Für den SR zum Schah nach Persien: Peter Scholl-Latour interviewt Reza Pahlavi.

Kurz vor dem Abflug zu diesem Interview hatte Scholl im Pariser Studio noch einen Kommentar zur „Nahost-Krise“ für den SR zu sprechen. Extra dafür war ein Team von Saarbrücken nach Paris geschickt worden. Norbert Holland war der Kameramann, Hendrik Stegner sein junger Assistent. Für ihn wurde es ein Einsatz, den er gut 35 Jahre später immer noch mit Schaudern erzählt.

In der Dunkelkammer des Studios war Stegner beim Öffnen der Kamera-Kassette, wie es gelegentlich mal passierte, der belichtete Film von der 120-Meter-Rolle gesprungen. Da half nur eins: von Hand Meter für Meter wieder aufrollen. Die gute halbe Stunde, die das mindestens dauerte, durchlitt der verunsicherte Kamera-Assistent als eine kleine Ewigkeit. Denn draußen wartete wie auf glühenden Kohlen Peter Scholl-Latour, der seinen Beitrag nach dem Entwickeln noch ansehen wollte. Aber selbst in dieser Stress-Situation sei Scholl ein „abgebrühter Kollege geblieben, der alles unaufgeregt im Griff behalten“ habe, erinnert sich Stegner. Der Kommentar und das Schah-Interview, zu dem Scholl-Latour dann nach Teheran flog, wurden beide als SR-Zulieferung in der Report-Sendung des SWF vom 26. Mai 1967 ausgestrahlt. Im SR-Archiv sind sie aufbewahrt. Einen Tag später begann der Staatsbesuch von Schah Mohammad Reza Pahlavi mit seiner Frau Farah Pahlavi (geb. Farah Diba) in Bonn.

Fernseh-Aufnahmeleiter Siegfried „Siggi“ Giese erinnert sich, dass SR-Produktionen in Paris damals recht häufig waren: „Ostfrankreich und die französische Hauptstadt zählten quasi zu unserem erweiterten Berichterstattungsgebiet“. Hin und wieder leistete der SR auch technischen Beistand, wenn es im Pariser ARD-Studio an Produktionskapazität fehlte. Und auch als WDR-Angestellter arbeitete Scholl-Latour immer wieder mal exklusiv fürs SR-Fernsehen.

Damit hatte es 1969 ein Ende. Da wurde Scholl für zwei Jahre WDR-Fernsehdirektor und ab 1971 dann Chefkorrespondent des Zweiten Deutschen Fernsehens mit Sitz in Paris. Zwischen 1975 und 1983 leitete er zusätzlich das Pariser Studio des ZDF.

Ahmad Ataya (Foto: SR/R. Oettinger)
Ahmad Ataya als junger SR-Reporter.

Es war im November 1974 als SR-Fernsehreporter Ahmad Ataya ihn dann als „Konkurrenten vom anderen Kanal“ traf. Nicht in Paris, sondern in Riad, der Hauptstadt des Königreichs Saudi-Arabien. Beide begleiteten eine Wirtschaftdelegation des Bundeswirtschaftsministers Hans Fridrichs (FDP). Für die Deutschen ging es dabei, ein Jahr nach der Ölkrise im Herbst 1973, vor allem um die Sicherung ihrer Energieversorgung und um Aufträge für die deutsche Industrie. Deshalb wollte Ataya bei dem kurzen Aufenthalt im Land für seinen Bericht auch gern Erdölfelder und den Tankerhafen Ras Tannura am arabisch-persischen Golf drehen.

Ataya Ölindustrie - Markt für Jedermann v. 09.11.1974  (Foto: SR)
Um Öl und Industrie-Aufträge für Deutschland gings’s bei der Saudi Arabien-Reise des Bundeswirtschaftsministers.

Im Gespräch mit dem stellvertretenden Informationsminister erbat er deshalb für Luftaufnahmen und den Transport Unterstützung mit einem Hubschrauber. Der Vize-Minister zögerte. Darum habe auch „schon Dr. Scholl-Latour“ gebeten. Ataya (ein gebürtiger Palästinenser) hielt dagegen: „Der arbeitet ja nur fürs zweite Fernsehen, ich aber fürs Erste.“ Alles auf Arabisch. Da tippte ihm plötzlich jemand von hinten auf die Schulter: „Mach dich nicht so wichtig, Ataya“, ertönte auf Deutsch die unverkennbare Stimme von Scholl-Latour. Der hatte von Herbst 1956 an für fast zwei Jahre an der Saint-Joseph-Universität Beirut die arabische Sprache und Kultur studiert. Am Ende bekamen beide ihren Hubschrauber. Scholl für ein längeres ZDF-Feature, Ataya für einen SR-Bericht im ARD-Wirtschaftsmagazin „Markt für Jedermann“, der Vorgängersendung von Plusminus. Er lief am 9. November 1974, ist fast acht Minuten lang und beim SR unter dem Titel „Industrielle pilgern gen Mekka“ archiviert. Seinen deutschen Reisepass mit dem saudischen Einreise-Stempel hat Ataya noch heute: Es war der 20. Schawal 1394 – islamischer Zeitrechnung.

Auch wenn Scholl-Latour als WDR-Fernsehdirektor und dann als ZDF-Mann für das SR-Fernsehen nicht mehr arbeiten konnte – dem Hörfunk des Saarländischen Rundfunks blieb er treu. Es war sein ausdrücklicher Wunsch. Geäußert zwischen Tür und Angel. Im wahrsten Sinne des Wortes. An der Tür der Redaktion „Zwischen heute und morgen“ wurde angeklopft. Irgendwann 1969. Der Autor dieses Beitrags stand zufällig in der Nähe und machte gleich auf. Vor ihm stand Peter Scholl-Latour. Die Überraschung war ziemlich groß. Dass Scholl bei Intendant Dr. Franz Mai zu einem „Abschiedsbesuch“ gewesen war, hatte sich nämlich nicht herumgesprochen. Weil in Eile, wolle er auch gar nicht erst in die Redaktion kommen. Aber es sei ihm wichtig, persönlich kurz zu sagen, wir sollten nicht etwa meinen, dass er als zukünftiger WDR-Fernsehdirektor nicht mehr für das „Abendmagazin“ zur Verfügung stünde. Nein, wir dürften ihn auch weiterhin gern anrufen, statt in Paris nun eben in Köln. Das taten wir natürlich gern. Und so kommentierte oder analysierte denn für „Zwischen heute und morgen“ statt wie bisher der Pariser ARD-Korrespondent für zwei Jahre immer mal wieder der Fernseh-Direktor und danach der ZDF-Chefkorrespondent Scholl-Latour.

Scholl-Latours Radio-Feature für den SR wurde auch im Ullstein-Taschenbuch „Im Namen Allahs. Der Islam – eine Religion im Aufbruch?“ abgedruckt. (Zum Vergrößern bitte anklicken)

Scholl-Latours SR-Radio-Feature „Militärs in Afrika – ein Faktor der Stabilität?“ ist im Ullstein-Taschenbuch „Afrika den Afrikanern. Vorkoloniales Erbe und nachkoloniale Entwicklung“ nachzulesen. (Bitte anklicken)

Scholl-Latours Autobiographie erschien 2015 – ein Jahr nach seinem Tod. (Bitte anklicken) 

Selbst für längere Sendungen im SR nahm sich Scholl weiterhin die Zeit. Der Titel seines Hörfunk-Features aus dem Jahr 1979 könnte auch heute aktueller kaum sein: „Der Westen und die politische Herausforderung durch den Islam.“ Schon vor mehr als 35 Jahren stellte er fest: „Die islamische Renaissance ist zu einem Machtfaktor erster Ordnung geworden“. Und er resümiert alles andere als optimistisch: „Im Laufe der Sendung mag der Eindruck entstanden sein, dass die islamische Wiedergeburt in verhängnisvoller Weise zur Schwächung, ja zum Untergang des freiheitlichen Westens beitragen wird.“   

Fast wie für die heutige Situation bestimmt, klingt auch der Titel eines Scholl-Features, das er 1980 ebenfalls für die Hörfunk-Abteilung Politik des Saarländischen Rundfunks schrieb: „Militärs in Afrika – ein Faktor der Stabilität?“ Und angesichts der Diskussionen um den syrischen Staatspräsidenten Baschar al-Assad und im Bürgerkrieg versinkender, sich auflösender Staaten erscheint seine Analyse sehr aktuell: „Und wo immer der Aufstand gärt, wo die Bomben explodieren, dort ist auch der Ruf nach dem starken Mann, nach dem Militär, nicht mehr fern.“

Die beiden Scholl-Latour-Features sind zusammen mit anderen in den Ullstein-Taschenbüchern „Im Namen Allahs. Der Islam – eine Religion im Aufbruch?“ und „Afrika den Afrikanern. Vorkoloniales Erbe und nachkoloniale Entwicklung“ erschienen (für den SR herausgegeben von Axel Buchholz und Martin Geiling).

Seine politischen Analysen, oft verbunden mit zutreffenden Vorhersagen kommender Entwicklungen, haben zu Peter Scholl-Latours journalistischem Ruf wesentlich beigetragen. In dem zwei Jahren vor seinem Tod, im Alter von 88 Jahren, formulierten ersten Abschnitt seiner Autobiographie schreibt er, niemals habe er den Anspruch erhoben, eine „Wahrheit“ zu verkünden. „Hingegen habe ich mich bemüht, der Wirklichkeit nahezukommen. Mit der schonungslosen Darstellung menschlicher Unzulänglichkeit bin ich nie der Illusion erlegen, die Welt verbessern zu können.“

SR Fundstücke: Peter Scholl-Latour zum Erklären der Welt
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SR Fundstücke: Peter Scholl-Latour zum Erklären der Welt
Peter Scholl-Latour zum „Erklären der Welt“ (im Interview mit Norbert Klein in „mag’s“ vom 14. 4. 2011.

Sie besser zu verstehen – dazu hat Peter Scholl-Latour jedenfalls beigetragen. Und davon haben über ein halbes Jahrhundert lang auch die Zuschauer und Zuhörer der Programme des Saarländischen Rundfunks profitieren können.

(Redaktion für den Arbeitskreis SR-Geschichte: Axel Buchholz (ab); Mitarbeit: Eva Röder (Gestaltung/Layout), Roland Schmitt (Fotos/Recherche), Klaus Altmeyer, Michael Fürsattel, Sven Müller und Hans-Ulrich Wagner.)

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