Werner Zimmer (Foto: Oettinger)

SR-Fernsehen: Vorreiter als Vorturner

 

Von Axel Buchholz

Gymnastik im Radio – das gab’s schon in den zwanziger Jahren. Mitte der sechziger zog das Fernsehen nach. Vorreiter war in der Bundesrepublik der Saarländische Rundfunk. „Üb mit – bleib fit“ hieß die Sendereihe. Werner Zimmer, der spätere „Mister Sportschau“, und „Miss sechs Meter“ Helga Bühler-Hoffmann waren die Präsentatoren.

Als auch die Saarländer massenhaft begannen, es sich vor dem Bildschirm bequem statt sich mit Ausgleichssport müde zu machen, da hielt der SR dagegen. Vier Jahre lang sendete das SR Fernsehen insgesamt 128 Folgen dieser „Gymnastik für den Hausgebrauch“. Redakteur und Moderator der Sendung war Werner Zimmer.

 (Foto: SR)

Sportlich dynamisch im Trainingsanzug tritt der Sportreporter in der Auftakt-Sendung am 12. Januar 1966 vor sein Fernseh-Publikum. Eine Sprossenwand im Hintergrund ist die Studio-Dekoration. Bescheiden geht der damals 29-Jährige es an: „Eine Minute“, sagt er, solle doch der geneigte Zuschauer die gymnastischen Übungen ebenfalls machen. Und legt in einem Atemzug gleich nach: vielleicht ja auch zwei, drei oder besser noch fünf Minuten. Das aber bitte möglichst täglich … Wie viele das tatsächlich gemacht haben, ist nie erforscht worden. Aber gewiss waren es nicht wenige.
Obwohl Werner Zimmer da seine überregionale Karriere als Moderator der ARD-Sportschau noch vor sich hat, agiert er vor der Kamera völlig locker. Offenbar so sehr, dass er glatt vergisst, seine „Vorturnerin“ Helga Hoffmann vorzustellen. Ebenfalls ganz locker holt Zimmer das dann zu Beginn der zweiten Sendung nach. Die zweifache deutsche „Sportlerin des Jahres“ und Top-Leichtathletin mit allein 14 deutschen Meistertiteln zählt schließlich zu den Sportstars im Saarland. Sie erklärt die Übungen und turnt sie zusammen mit vier jungen Damen auch vor. 

Wer die Idee zu diesem Tele-Trimm hatte, weiß Werner Zimmer nach fast fünfzig Jahren nicht mehr. „Sie wird wohl im Gespräch mit Kollegen entstanden sein“, vermutet er. Auf jeden Fall sei sie ein originär saarländisches Programm-Produkt gewesen. Dass es schon seit Anfang der sechziger Jahre im Fernsehen der DDR mit „Medizin nach Noten“ eine ganz ähnliche und sogar werktägliche Sendung gegeben hat, überrascht ihn. „Die haben wir mit Sicherheit nicht gekannt. Das Fernsehen aus dem anderen Teil Deutschlands konnte hier ja nicht empfangen werden.“

Jedenfalls passte „Üb mit – bleib fit“ perfekt in die damalige Sport-Planung. Der Deutsche Sportbund (DSB) und die Deutsche Olympische Gesellschaft (DOG) hatten seit 1959 gemeinsam die Bundesbürger auf den „zweiten Weg“ geschickt: also auch außerhalb der Vereine mehr Bewegung statt Bäuchlein, mehr Sport statt Speckröllchen. Zu einem wichtigen Wegbereiter dieser Breitensport-Initiative entwickelt sich der junge Diplom-Sportlehrer und DSB-Angestellte Jürgen Palm. Er wird Beauftragter für den Gesundheitssport und später DSB-Geschäftsführer.

Für die ersten Sendungen „Üb mit – bleib fit“ schreibt Jürgen Palm die Manuskripte mit dem jeweiligen Übungsprogramm. Im allerersten sind „Die armen Füße“ das Thema. „Möglicherweise geht auch der Name der Sendung auf Jürgen Palm zurück“, sagt Werner Zimmer. Denn wahrscheinlich schon 1964 hatte Palm ein Praxis-Buch für den Übungsleiter mit dem Titel „Üb mit – bleib fit“ geschrieben.

Zu den Vorarbeiten für die Sendereihe gehörte etwas, worum so einige Kollegen Werner Zimmer beneidet haben dürften: Er musste die vier jungen Damen suchen, die alle Übungen im Studio unter Leitung von Helga Hoffmann korrekt und anschaulich vorturnen konnten. Zimmer fand sie mit Hilfe der Dozenten am Sportwissenschaftlichen Institut der Universität des Saarlandes, wo er selber noch wenige Jahre zuvor studiert hatte. Noch heute ist er mit seinem Casting-Ergebnis sichtlich zufrieden: „Sie machten alle wirklich bella figura!“ Einige von ihnen überdies auch Karriere.

Die Diplom-Sportlehrerin Anne Karin wurde Sängerin (saarländischer Mundart-Hit „Mir han gespielt am liebschte nur im Dreck“) und Journalistin. Von 1974 bis 1985 moderierte sie mit einer längeren Unterbrechung beim SR-Hörfunk, zuerst auf der Europawelle Saar und dann bei SR 3 Saarlandwelle. Von 1988 bis 2013 arbeitete sie beim NDR-Fernsehen in Kiel als Moderatorin und Nachrichtenredakteurin. „Damals hatte Anne meist ihre Gitarre dabei und spielte oft in den Drehpausen“, erinnert sich Helga Hoffmann. Anne Karin denkt gern an ihre Zeit als studentische „TV-Turnschwester“ (O-Ton Werner Zimmer) zurück: „Wir hatten unheimlich viel Spaß zusammen.“ Und außerdem bekam sie durch diese Arbeit auch Kontakt zu SR-Tontechniker Winfried Götzinger, der die ersten professionellen Ton-Aufnahmen mit ihr machte.

Marianne Granz sollte die SR-Fernsehstudios nach ihrer Zeit bei „Üb mit – bleib fit“ später noch häufig wiedersehen – als gefragte Interview-Partnerin. Sie war zuerst Oberstudienrätin, wurde SPD-Landtagsabgeordnete (1975 – 1994) und dann Ministerin (1990 – 1996), erst für Bildung und Sport und danach für Frauen und Soziales. Trotz allem hat sie „Üb mit – bleib fit“ sehr gut in Erinnerung: „Das war damals bahnbrechend, eine großartige Aufforderung zum Mitmachen.“

„Die Zusammenarbeit im Team war prima“, erzählen Helga Hoffmann und Werner Zimmer übereinstimmend. „Wir hatten bei aller Arbeit immer unseren Spaß.“ Zu viel Spaß konnte aber leicht mehr Arbeit bedeuten. Wurde eine Passage „verlacht“, was gelegentlich vorgekommen sein soll, musste die gesamte Sendung wiederholt werden. Aufgezeichnet wurde auf zwei Zoll breitem Magnetband – und zwar jede Folge in einem Stück. Zwischendurch abbrechen und schneiden ging aus technischen Gründen so gut wie nicht. „Alles noch mal von vorn“ hieß das Kommando von Regisseur Günther Bruns oder Aufnahmeleiter Siegfried Giese auch, wenn jemand beim Vorturnen zu sehr den Faden verlor. Das geschah hin und wieder, obwohl zur Sicherheit die Übungen entweder mit Kreide auf dem Studioboden oder auf großen Tafeln hinter den Kameras notiert waren.

Mehr zu den ersten SR-Sendungen in Farbe

Als eine der ersten SR-Farbproduktionen schrieb „Üb mit – bleib fit“ auch ein wenig technische Sendergeschichte. „Von Anfang an wurden die Folgen in Farbe aufgezeichnet, auch wenn sie nur in Schwarz-Weiß gezeigt werden konnten“, ist sich Fernseh-Archivar Hans-Ulrich Wagner sicher. In Farbe wurde „Üb mit – bleib fit“ erst vom 12. September 1968 an ausgestrahlt.
An einem Drehtag wurden bis zu sieben Folgen mit je zwischen zehn und fünfzehn Minuten aufgezeichnet, also an die 100 Programm-Minuten. „Unglaublich viel“, staunt Werner Zimmer heute und glaubt es erst, nachdem er es auf den alten Produktionsplänen noch einmal nachgelesen hat.

Nach Drehschluss entlud sich die Anspannung des Tages dann gelegentlich in einem Feierabend-Spaß. Einen hat Helga Hoffmann noch gut im Gedächtnis. Da hatten die Vorturnerinnen die Musiker des „Fritz Maldener Trios“ dazu überredet, mit ihnen „verkehrte Welt“ zu spielen. Sie wollten für die Musik sorgen, die Musiker sollten Turnübungen machen.

Den davon überlieferten Fotos zufolge, blieben die sportlichen Leistungen der Musiker im Bereich zart angedeuteter Bewegungen. Wie sich die Musik der Turnerinnen anhörte, wurde nicht dokumentiert. Immerhin: Helga Hoffmann machte sich am Schlagzeug zumindest optisch sehr gut. Umgekehrt dagegen klappte es stets: Fritz Maldener gab am Klavier zwar den Takt vor, vergewisserte sich aber immer wieder mit einem Blick, ob die Damen bei ihren Übungen mithalten konnten.
Jede Sendung stand unter einem anderen Thema, das gelegentlich auch von einem Arzt medizinisch untermauert wurde. „Wir wollten für möglichst viele Alltagssituationen oder Trimm-Wünsche etwas anbieten“, erklärt Helga Hoffmann das Programm und zieht mit einem Griff aus ihrer penibel geführten Dokumentation auch sofort die entsprechende Liste. Da liest man dann Titel wie „Wenn der Wecker rasselt“, „Schlank und schlau“, „Gymnastik für den Hausputz“, „Der Hüftspeck muss weg“ oder „Training mit der Kuchenrolle“.
Ein Teigroller als Gymnastik-Gerät – das hört sich heute eher lustig an. Damals aber war es Prinzip, nur solche Hilfsgeräte zu empfehlen, die jeder ohnehin zuhause hatte. Also wurden Bälle geworfen, mit Sand gefüllte Flaschen geschwungen, Persileimer geschwenkt, Kissen, Stühle, Sessel benutzt, der häusliche Partner eingespannt oder die Beine wurden über Besenstiele geschwungen.

Das übrigens sah bei Co-Vorturner und Moderator Werner Zimmer dann so aus, dass man ahnte: Seine wahre Stärke liegt im Moderieren. Er muss es selbst gespürt haben. Schnell erklärte er sich beim anschließenden Beine-Wettschwingen zum Schiedsrichter. Helga Hoffmann schaffte die meisten Schwünge in der vorgegebenen Zeit.

Beim Saarländischen Rundfunk liefen die „Üb mit – bleib fit“-Sendungen schon lange nicht mehr, da fuhr Helga Hoffmann noch den Renault R8, den sie sich mit den Honoraren von anfänglich 100 Mark pro Folge zusammenverdient hatte. Und da wurden die Sendungen in anderen Dritten Programmen lange noch vereinzelt wiederholt. Die letzte strahlte, so weit zu ermitteln, „NDR Nord“ am 1. September 1983 aus. Schließlich machte der Sendungs-Vater seinem eigenen Fernseh-Kind den Garaus und lehnte fortan Wiederholungen ab. „Es sah von der technischen Gestaltung her inzwischen einfach zu schlicht aus“, begründet Zimmer die Entscheidung ohne erkennbares Bedauern. „Die Programm-Entwicklung war mit vielen moderner aufgepeppten Nachfolge-Sendungen darüber hinweggegangen.“ Nicht allerdings über die Idee dahinter: Mehr Bewegung tut heute gewiss nicht weniger Not.             

(Redaktion für den Arbeitskreis SR-Geschichte: Axel Buchholz (ab); Mitarbeit: Jochen Breuer, Steffen Demuth, Sven Müller, Eva Röder, Hans-Ulrich Wagner, Roland Schmitt)

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